24.12.19

die flamme

er starrte zum wald hinüber, es schneite. der wind liess die flocken tanzen. die kahlen berge und dicht bewaldeten hügel waren schneebedeckt, nebel kroch über die kuppen und flanken der hügel, über dunkle waldflächen und über die schneefelder, über denen er hängenblieb, als würde die kälte seine neblige konsistenz verändern, ihn kristallisieren. wie eine eiswand aus kleinsten eiströpfchen und perlen. ein perlvorhang zwischen baumreihen, einer nach dem anderen. eine baumreihe, ein perlvorhang, und so weiter.

gefrostete glaswände mit weissen butzenscheiben. er lächelte kurz - würde ihm gefallen, butzenglas in weiss. gefrostetes weiss, klares weiss - seine vorstellung vom butzenfenster-spiessertum - davor eine fensterbank aus marmor. darauf eine dieser pflanzen mit wachsweissen trompetenartigen blüten oder eine spur farbe, wirklich egal, welche, alles geht bei weiss als hintergrund, vor allem im winter bei schneefall.
ein, zwei alte chartreusegrüne flaschen, nur nichts neues, nichts "dekoratives" im heutigen sinn. nun grinste er. dachte an frisösen und die schaufenster von nagelstudios, an baumärkte, möbelhäuser, und an die erfindung des unwortes "deko". deko ist hübsch. und hübsch ist nicht schön. die meisten menschen um ihn waren ebenfalls hübsch, sehr hübsch sogar. 
sein grinsen wurde breiter.

jeder nach seiner facon, sagt man und man hat wohl recht damit, aber darüber mockieren durfte er sich, ein bisschen zumindest.
hatte er sich verdient, nach diesem kurz-ausflug zum weihnachtsmarkt, inmitten wunderhübscher, dekorativer menschen und noch wunderhübscheren, dekorativen zierats. nach der ersten kampfpunschtrinkerhütte, die sich stinkend und glühbirnenumflort wie ein schlechter witz vor ihm erhob, hatte er angeekelt die flucht ergriffen und war auch prompt mit einem betrunkenen zusammengestossen, der ihm in einem sprühregen von schnaps und speichel gelallte worte ins gesicht spieh, die er nicht verstehen konnte.
jeder nach seiner facon. soll sein. er zündete ein windlicht an, obwohl es noch hell war. die flocken tanzten, der wind sprang über die dächer. er war froh, am leben zu sein. 
und trotzdem...

er starrte zum wald hinüber. zum greifen nah. beinah. der hügel, nebel, wald, flocken, wind. mehr nicht.
sein neues gesicht, jenes, das darunter lag, unter der maske aus fleisch, sehnen und muskeln verborgen, wartend. nicht schlafend, nur wartend.
er war nun wach. wald, berge, wiesen, sogar nebel und schnee gehörten ihm. sein schmaler stirnreif glänzte silbern im licht der kerze. 
der stern auf seiner stirn, der über dem dritten auge lag, begann zu leuchten.
er war die flamme im bernstein. das mystische gold von weihrauch und myrrhe. die schmale goldene schlange am handgelenk des heilers.
er war so einsam.

19.12.19



prag, ubahnstation

16.12.19





prag, ubahnstation

13.12.19

jesus saves

jesus hatte schon die ersten schläge einkassiert. er lag zwar noch nicht auf dem boden im dreck, aber es würde nicht lang auf sich warten lassen. er schob es dem schlag auf seine schläfe zu, dass die gesichter, die er ein wenig unscharf sah, wie fratzen wirkten. geduldig stand er da und wartete, bis die henker das kreuz herantrugen. sie waren zu viert. einige steine flogen in seine richtung, er spürte blut aus einem cut über dem auge rinnen, viel blut. seine sicht wurde getrübt, er sah hilfesuchend in die runde und erkannte wieder, dass er, wohin er auch blickte, in sensations – und mordgeile fratzengesichter sah. er schob es seiner augenblicklichen verfassung zu. eine illusion, eventuell gar von satan, den er vorhin in der wüste noch übelst verarscht hatte. er hatte dem kerl gezeigt, wo der hammer hängt und dieser wehleidige bastard hatte doch tatsächlich aufgegeben, aber ein wenig zu schnell. wahrscheinlich rächte er sich jetzt mit seinen grauenvollen illusionen dafür – verdenken konnte man es ihm nicht. wer wird schon gern vor seinen eigenen untertanen entlarvt und lächerlich gemacht? niemand allzu gern und schon gar kein arroganter kerl wie satan.

das kreuz nahte heran und jesus sah mit grauen, wie sie sich zu viert beinah ‘nen bruch hoben. ein riesenteil aus schwerem holz gezimmert. er kannte sich mit holz gut aus – als kind hatte er joseph, seinem stiefvater, oft bei der arbeit zugesehen – und dieses holz war vielleicht nicht vom teuersten, aber robust und unglaublich schwer. wie das holz, das man für dachfirste verwendet oder als stützbalken.


die wahnsinnigen wollten ihn tatsächlich da rauf schicken, mit mördern und schwerverbrechern zusammen, und er sollte sein hinrichtungswerkzeug auch noch selbst schleppen. er dachte an seinen echten vater – der war weit weg und konnte ihm nicht mal die andeutung eines tips geben, wie man in dieser situation klarkam, und zumindest einen teil seiner würde behielt, mitten unter diesen...diesen...er sah sich noch einmal um. satan in der wüste war ein dreck dagegen gewesen. vielleicht hatte er deshalb so schnell  aufgegeben - weil er es gewusst hatte. er hatte sein ende gesehen, und hatte er nicht sowas wie „naivling“ gemurmelt? als er sich verdünnisiert hatte, und war sein mund nicht zu einem zynischen lächeln verzogen gewesen?
wofür das ganze? ein opfertier für einen blutigen kult, den gerade er nicht verstand. so viele schmerzen und als rechtfertigung dafür eine art von utopie? er dachte an seine freunde, für die er wohl sterben würde, wenn es denn sein sollte, aber für diese tobenden irren rund um ihn sollte er auch noch qualvoll und stundenlang verrecken? 
ein kleines kind spuckte gerade in seine richtung, hob dann einen stein auf, ziemlich gross für so ein kleines kind, und er würde sitzen. genau ins gesicht. 
alle lachten, sie waren ne grosse glückliche familie, es war wie immer, er war völlig allein, und sie so viele, und er, der alien, würde heute sein einsames alienleben aushauchen und sie würden alle ihren heidenspass dran haben,
und er war allein
und er hatte die schnauze voll

„könnt ihr euch vorstellen, dass es gar nicht darum geht?“, dachte er. „mein dad meinte so schön, dass es um andere dinge geht, nicht um irgend einen blutigen scheisskult, den ihr da betreibt, ihr affen. er meinte, ich würde in eure herzen bluten, meine offensichtlichen wunden würden euch berühren, meine worte vielleicht sogar heilen, aber ihr vollidioten hattet sogar wunder nötig, um für 5 abgefuckte minuten eurer existenz an was zu glauben und nun habt ihr alles vergessen im blutrausch“


und „scheiss drauf“, sagte jesus
„scheiss auf eure blutgeile fantasywelt, scheiss auf euch“, und mit nem gezielten karateschlag knockte er den ersten henkersburschen so genial aus, dass derselbe noch tage später nicht mehr wusste, ob er männlein oder weiblein war.
„scheiss drauf“, knirschte jesus und machte sich dran, die ganze henkersparty aufzumischen
es war wie ein wunder
rundherum lagen sie schon aufeinandergestapelt wie in nem billigen hongkong-movie, und jesus gab dem rest von ihnen saures.
und als sie wieder wach waren und ihre knochen zusammensammelten, sahen sie sich um und suchten nach ihm, doch jesus war fort, das kreuz abgefackelt und einige ihrer hütten brannten auch. auf einer stand fett und unangenehm
jesus saves
und als sie sich fragten, wie diese schrift wohl entstanden war, da hatten sie wie immer keine ahnung und brüllten vor zorn wie verrückt.


auf einem hügel nicht unweit von dieser inzestgegend stand jesus zusammen mit gabriel, dem erzengel, und beide sahen nicht grad unzufrieden aus. gabriel steckte gerade die graffiti-spraydose in seinen rucksack. und dann meinte er trocken: „das war’s wieder mal.“ jesus nickte und sah zu den rauchenden häusern hinab. dann meinte er: „du hältst mich jetzt für ungläubig oder? für jemanden, der kneift, wenn’s drauf ankommt.“  „ach jesus“, seufzte gabriel, „nicht schon wieder die alte leier. glaubst du wirklich, wir lassen dich einfach so allein? wofür hältst du uns eigentlich? für monster?“ jesus sah gabriel gar nicht an, er konnte ihm nicht ins gesicht schauen. „najaa“, grummelte er vor sich hin, „aber diesmal hat es brenzlig ausgesehen für mich. echt brenzlig., verstehst du? ich war ja schon verletzt und fast am boden. stell dir vor, das ganze wär weitergegangen. stell dir vor, was die mit mir gemacht hätten“.
„stell dir vor“ – jetzt schrie er – „was die getan hätten.“
„ich stell es mir grad vor“, sagte gabriel. „du armes kind. dein vater hätte den verstand verloren, hörst du? der liebt dich. weißt du eigentlich, wie sehr?
mehr als sie. und trotzdem versucht er, ihnen ne chance zu geben, zumindest versucht er, etwas zu erklären, und darum,“ sagte gabriel, „werden wir das ganze aufschreiben bzw. aufschreiben lassen. irgendein heini wird wohl schreiben können, oder? was meinst du?“
jesus sah etwas zweifelnd drein. „die sehen doch alle aus, als könnten sie nicht bis 3 zählen, aber mach du mal, gabriel, deine ideen sind immer extremst genial“.


und gabriel suchte und suchte, bis er tatsächlich einen mann fand, der des schreibens einigermassen mächtig war. er diktierte ihm eine geschichte, während jesus in seiner astralform, die er wieder angenommen hatte, daneben sass und fassungslos immer wieder den kopf schüttelte.
„dein leidensweg“, erklärte gabriel, „muss so blutig sein wie es nur möglich ist. er endet mit deinem qualvollen tod am kreuz. wir zeigen auf, wie menschen sind. scheisse. und was sie tun können, um sich zu bessern.“
er warf einen blick auf die blau-und grüngeprügelten dorfbewohner. „wie gut, dass ich dir karate beigebracht habe, mein kleiner“, murmelte er und erlaubte sich ein kleines, hämisches lächeln, das jedoch – wie es bei engeln so ist, zum wunderschönsten lächeln der welt geriet.

8.12.19

ich werde heute niemanden grüssen


*setzt sich auf die mauer gegenüber und betrachtet das treiben vor dem club*
nicht, dass ich nicht dazugehören will, aber es ist doch ziemlich einsam zwischen all den leuten. irgendwie erinnert mich das alles an früher, als ich noch auf der suche nach gleichgesinnten war. ich streunte draussen in den strassen rum, und wo menschen sich versammelten, blieb ich eine zeitlang stehen, doch ich gesellte mich nicht zu ihnen. ich höre ihr lachen und es war in meinen ohren wie kreischen. ich sah ihre stylings und es gibt kaum etwas, was ich nicht sah in den jahren meiner wanderschaft, doch kaum etwas, das mich berührte. auf der suche nach einer spur freundlichkeit in den augen, nach einem guten gespräch, und so bin ich hier draussen gelandet, wo ich mich immer am besten fühlte. ich rauche mir eine an und betrachte die leute, manchmal fühle ich ihre blicke auf mir lasten. doch nicht lange, denn ich sitze im schatten und niemand sieht mich genau. aber eins ist positiv daran: die nacht ist wieder so, wie sie sein soll, sie ist ohne grenzen und sie ist mir heimat und versteck, sie birgt mich und meine träume. ich geh heute nicht rein, aber ich bleib noch ne weile draussen auf der mauer sitzen. ich werde heute niemanden grüssen und niemanden anlächeln. ich werde heute meine stolze fresse vor mir hertragen wie ein schild. man könnte sagen, dass sich nichts verändert hat. die lage ist noch immer hoffnungslos, aber nicht tragisch. it's human behaviour...what else?
vielleicht hör ich noch ein tape einer namenlosen person, yeah, die tapes hab ich immer in den manteltaschen, zusammen mit einigen nötigen unnötigen dingen, wer meinen freund ghost kennt, der kann sich vorstellen, was ich mit mir rumschleppe.

und wenn hier noch einer sagt, dass ich erwachsen geworden bin, dem hau ich aufs maul. wenn einer es wagt, mich von der seite anzumachen, findet sich unter der erde wieder. meine wut ist wie ein laserbeam, meine liebe ist zu gross für mich allein, ich schau rüber zu ihnen und beginne zu lachen. ich hab freund ghost am kreuz hängen gelassen, um kurz herzuschauen, doch freund ghost verreckt gerade allein, also muss ich wieder gehen, um ihm in seinen beschissensten stunden beistand zu leisten. vielleicht häng ich ihn kurz mal wieder ab, nur um zu sehen, wie ihn diese beschissene welt wieder ans kreuz nagelt und keine masken für mich bitteschön, keine kalten augen, kein "nachtvölkchen", so süss sie auch aussehen mögen. i want raw emotion. die sie nicht zu geben imstande sind.