22.8.23

das motel



glaubt ihr, dass man hier baden kann?

sie sahen das bassin skeptisch an. es war mit wasser gefüllt, aber das mochte gar nichts heissen.
löcher im boden von tschernobyl sind auch mit regenwasser gefüllt und kaum einer würde sie für
swimmingpools halten. aber das hier..das sah schon etwas anders aus. ein mit klarem wasser randvoll
angefüllter swimmingpool, der zwar nicht gerade das allerneueste modell war - er war genau genommen mehr als mitgenommen, aber für den pool eines verlassenen motels war er noch ziemlich gut erhalten.
das wasser, in dem sich der blitzblaue himmel spiegelte, funkelte und gleisste und sie beschatteten ihre augen, damit sie bis zum boden sehen konnten. feine und breitere risse und anscheinend einige löcher, die aber nicht allzu tief sein konnten. man musste aufpassen, aber das wussten sie sowieso. an den orten, wo sie sich am liebsten aufhielten, musste man immer aufpassen. der rand des pools sah gefährlich aus. gesplitterter beton, kanten und zacken, und nicht gerade das, was man hygienisch nennen würde. voller risse, in denen sich dreck angesammelt hatte. aber es gab auch eine leiter aus metall, die ins becken führte. sah nicht allzu schlecht aus für einen nachmittag am pool - etwas, womit
sie in dieser gegend garantiert nicht gerechnet hatten, mitten in texas an einem völlig verlassenen ort wie diesem. eine ihrer haltestellen auf ihrer sonderbaren reise, die sie sich seit jahren gewünscht hatten, ein urlaub, wie ihn sich nur freaks wie sie wünschen konnten. die verlassensten orte, die abgefucktesten hotels und motels, diners am highway, die besonders schmierig und gemeingefährlich aussahen, und nachtclubs, die wahrscheinlich nur lebensmüde betraten. 

sie hatten alles ganz gut überlebt, was im nachhinein ein wunder war. vor allem das essen in gewissen diners hatte schon von der optik und vom geruch her verkündet, dass es im prinzip ungeniessbarer biomüll war, doch sie hatten begeistert alles in sich hineingestopft, was an ekligem zeug vor sie hingestellt worden war, und sie hatten bis auf ein mal, wo man nach einem undefinierbaren gericht - ein stück fleisch, das sich als kotlett ausgab und irgendetwas anderes sein musste (es bestand aus knorpeln und roch nach altem öl) - eine kotz-pause am strassenrand einlegen musste, alles locker weggesteckt. die kotz-pause am strassenrand war inzwischen auch schon als kult-event in die annalen eingegangen, da immer wieder zuerst neugierige, dann angeekelte autofahrer im schneckentempo an ihnen vorbeigeschlichen waren und  ihre neugierde dann  wahrscheinlich auf das heftigste bereut hatten. einer hatte sogar das fenster runtergekurbelt und gefragt, ob er helfen könnte, doch als er sie genauer betrachtet hatte, war er wohl zu dem schluss gekommen, dass ihnen niemand mehr helfen konnte
und er war mit quietschenden reifen abgerauscht. die reifen hatten gequalmt und man hatte danach eine nette burnout-spur gesehen. es war ein kult-event gewesen und nun sah es ganz so aus, als würde das nächste schon auf sie warten, in einem dieser motels.
diese motels. diese motels, die man meiden sollte wie die pest. o-ton des mädchens im diner einige kilometer die strasse runter. jungs, lasst es sein. schaut euch was besseres an, wenn ihr schon hier seid, hier gibt es auch schöne sachen, wisst ihr? sie waren aber nicht grad scharf auf die schönen dinge des lebens, die mainstream-touris auf dem silbernen tablett gereicht wurden, aber das hatten sie
ihr nicht gesagt. sie hätte es nicht verstanden, ausserdem war sie wirklich nett. als sie vom verlassenen motel geredet hatte, das einfach nur grauenhaft sein sollte und so unheimlich, dass es als mutprobe galt, sich nachts hinzuschleichen, war der entschluss einstimmig gewesen, sich dort mal genauer umzusehen. es war leicht zu finden. man musste nur die strasse weiterfahren und da war es auch schon auf der rechten seite.

mit einer eigenen zufahrt natürlich und in einer art miami-pink gestrichen, das früher einmal so grell gewesen sein musste, dass es die autofahrer garantiert aus den sitzen gehoben hatte. es war sicher auffällig gewesen mit diesem pink, rundherum die kakteen und vielleicht sogar palmengewächse,
und mit der neonreklame auf dem dach des vordersten gebäudes, das wohl als rezeption und restaurant gedient haben musste. vielleicht hatte es sogar flamingos gegeben, die in einem pseudotropischen biotop, unter palmwedeln und von künstlichem regen benetzt, neben einem plätschernden teich auf und
abgestelzt waren. darüber der flirrende sternenhimmel. hollywoodschaukeln. liebespaare. cocktails. hochzeitsnächte. das erste kind erzeugen
mommy, hat mich der storch gebracht? nein, ein flamingo, mein schatz.
bestens. nichts geht mehr. rien ne va plus. alles erreicht, was es auf diesem gebiet zu erreichen gilt.
in der nacht sah das sicher gut aus, auf eine gewisse zu kitschige art und weise, eben typisch fünfziger oder sechziger jahre stil. zu cool, um scheisse zu sein. sweet retro dreams.
liebespaare und runaways hatten damals sicher rosafarbene herzchen in den augen gehabt, als sie das motel zum ersten mal gesehen hatten.
das miami-pink war inzwischen zu einer art müdem altrosa verblasst, das langsam in grau überging. das motel war so tot wie nur etwas sein konnte.


das wasser im pool glitzerte in der sonne. es sah seltsam künstlich aus, fast wie einer dieser schotterteiche, die sie im sommer oft besuchten, auf eine gewisse hinterhältige art so verlockend, dass man über die gefahr, die sicher irgendwo lauerte
lauern musste
hinwegsah und nur noch daran denken konnte, wie es sich anfühlen musste, hineinzuspringen und unterzutauchen, vielleicht bis zum boden, trotz oder vielleicht gerade wegen der risse und tiefen furchen, der löcher, mit angehaltenem atem unter wasser zu schwimmen und vielleicht sogar etwas zu finden, das in einem der risse lag und auf entdeckung wartete, etwas, was irgend jemand vor langer zeit verloren hatte, und wenn nicht, dann konnte man noch immer von sich behaupten, in einem verlassenen motel einen nachmittag am pool verbracht zu haben, etwas, was man sicher nicht so bald vergessen würde, eine dieser situationen eben, die zu gut sind, um wahr zu sein. eine möglichkeit, ganz und gar aus der realität zu verschwinden.

darian fühlte die unwirklichkeit des augenblicks, leichten schwindel, als würde sich eine andere dimension über seine eigene legen. er fühlte sich grossartig, obwohl er ganz leicht begonnen hatte, vor sich hinzufrösteln, als würde eine spur von kälte von dieser zweiten, anderen dimension ausgehen
obwohl er in der prallen sonne stand, begann sich eine gänsehaut erst auf seinen unterarmen, dann über seinen ganzen körper auszubreiten.
er drehte sich um und betrachtete das grösste gebäude des motels, mit dem verloschenen neonschild am dach, das wie ein verglühter stern aussah, verwüstet wie nach einem brand, vielleicht von innen her verkohlt, in den blauen himmel ragend wie eine drohung, darunter das gebäude in vergilbtem graurosa, mit bröckelndem verputz und rissen in der wand. das schild war damals sicher weithin zu sehen gewesen
wie eine drohung
darian schüttelte den kopf über diesen letzten gedanken, dessen morbidität überhaupt nicht zu ihm passte. wahrscheinlich lag es an der umgebung, die düstere gedanken erzeugte.
er wischte sich über die stirn, auf der ein leichter kalter schweissfilm lag.
das bild eines buntschillernden insektenartigen gebildes, grotesk aufgebläht und auf dem dach hin und herschwankend wie ein ballon, von gift aufgebläht und leuchtend
in violetter verwesungsfarbe, in die nacht leuchtend wie eine drohung, ein leuchtfeuer, das unter seiner grotesk-bunten umhüllung nichts weiter war als
ein skelettierter gigantischer schädel, der auf und abnickte, mit mahlenden kiefern, beoabachtend, abwartend
lauernd

darian fühlte, wie die kälte ihn ganz umschloss
dann hörte er die schreie, die aus dem himmel über dem neonschild, dem schädel,dem
fressenden insektenschädel zu kommen schienen,schreie, die nichts menschliches mehr hatten
ein elektrischer sturm fegte um das haus und liess sein gesicht prickeln, die haare in seinem nacken standen zu berge
elektrische entladungen liessen das ganze haus wie eine kranke weihnachtsinstallation funkeln
und der skelettierte schädel nickte und nickte langsam auf und ab, mit mahlenden kiefern
er schrie, doch seine schreie gingen in den schreien seiner freunde unter
ein wasserschwall überschwappte ihn, er schnappte nach luft, sein herz raste wie verrückt.
als er wieder klar sehen konnte, stellte er fest, dass sie in den pool gesprungen waren und nun wie kinder darin herumplantschten und ihn mit wasser bespritzten,
und er hatte den klassischen filmriss gehabt, wahrscheinlich war er zu lange in der prallen sonne gewesen, es war wahrscheinlich nur das gewesen.
ein aussetzer, der aber auf unheimliche art und weise realer als die realität gewesen war
das haus sah natürlich wieder so aus wie immer.
ganz eindeutig wahnvorstellungen, begünstigt von der sonne, und vielen dank auch herr doktor,
wenn sie mir jetzt die versprochene spritze setzen würden, damit die bilder aus meinem kopf verschwinden, vor allem dieser
schädel?


darian blickte zu dem neonschild hoch und versuchte die andeutung eines grinsens, das jedoch etwas zittrig ausfiel. das böse in form eines motels.

hatte das mädchen im diner nicht auch etwas in der art gesagt? und dass diese mutprobe damals einige kids regelrecht in den wahnsinn getrieben hatte? ja natürlich. weiber. hysterische kleine mädchen und ihre düsteren legenden. er war wahrscheinlich ebenfalls zu einem kleinen mädchen mutiert, so wie es aussah - die spritze, herr doktor, aber schnell. damit ich wieder ein mann werde. das mädchen hatte krampfhaft versucht, ihnen das motel auszureden, schon eigenartig, wie sehr sie sich bemüht hatte, ihnen andere - sehenswürdige - sehenswürdigkeiten schmackhaft zu machen. es war auffallend gewesen, wie sehr sie sich bemüht hatte. sie hatten nachher noch darüber gelacht und gemeint, sie hätte nicht mehr alle tassen im schrank.

auch egal, aber jetzt hatte er die lust auf ein bad völlig verloren. er fluchte in sich rein und beobachtete seine freunde beim spass-haben. wunderbar. genau so hatte er es sich gewünscht. ausserdem war ihm noch immer schwindlig. eigentlich sollte er aus der sonne gehen, aber er fühlte sich ziemlich müde. er konnte ja auch nachher baden, wenn er sich erholt hatte, fragt sich nur, wovon. was das genau gewesen war, die kälte, das blaue licht und dieses ding da oben am dach, das wie eine groteske wetterfahne oder ein prall aufgepumpter ballon ausgesehen hatte 


das nickende ding mit den mahlenden kiefern

das wasser glitzerte silbrig, kleine wellen umgaben die schwimmer, es war paradiesisch.

irgendwie war das wasser zu sauber. blöder gedanke.  oder? ein schmutzfilm auf der oberfläche, tote insekten, dreck, das wäre normal gewesen.

irgendetwas passte hier nicht zusammen

ein verlassenes motel mit einem verdreckten pool, aber nicht dieses glasklare wasser, das selbst wie eine wahnvorstellung aussah, eine fata morgana. vielleicht ist das wasser eigentlich ganz anders, dachte er, schmutzig grau, eine stinkende ölige brühe mit toten insekten, die auf der oberfläche treiben

aber wir sehen genau das, was wir sehen wollten

oder jemand anderes

etwas anderes

er setzte sich auf die betoneinfassung des pools und überlegte.


als er in einen unruhigen schlaf glitt, noch immer vornübergebeugt auf dem rand des pools sitzend, kamen die bilder wieder, schnell und unbarmherzig

wie ein zeitsprung in die sechzigerjahre, chevies, cocktails und flamingos inbegriffen, menschen die in den gartenanlagen flanierten oder in hollywoodschaukeln sassen, er hörte bruchteile ihrer gespräche, frauenlachen, gläserklirren und den lärm vereinzelter autos, die auf dem highway vorüberfuhren.

eine jukebox spielte immer wieder dasselbe lied


screamin' minds on fire
that holler with desire
kept waitin' round on high
as stars are passing by
you can hear them
death bells at dawn

tortured souls of dead
when hunger is not fed
running water in your brain
while turning quite insane
you can hear them
death bells at dawn

threeteen months to die
when light began to fly
when day turns into night
and you have lost your sight
you can hear them
death bells at dawn


der song klang verzerrt und dünn und auf unangenehme weise zerbrochen und falsch. mit der zeit verstummten alle anderen geräusche und er konnte nur noch das lied hören, das immer lauter wurde und schliesslich mit einem klirrenden geräusch verstummte.

dann sah er sie in ihren betten liegen und im restaurant sitzen, mit blassen ausdruckslosen gesichtern leer aus dem fenster starren

und fliegen, die in ihre offenen münder krabbelten





nein. seine stimme kippte. nein nein nein
der pool
die stimmen seiner freunde waren verstummt
es war so still

und der schädel nickte und nickte vom dach des motels mit mahlenden kiefern
er schien ihm entgegenzustürzen
sein bewußtsein entglitt ihm wie ein fisch, der aus dem netz schlüpft


als man ihn am rand des pools am boden liegend fand, brannte er vor fieber. die polizei, die einem anonymen anruf gefolgt war, fand keinerlei hinweis auf die anwesenheit von anderen personen. 
der pool war staubtrocken, augenscheinlich seit ewigkeiten nicht mehr benutzt worden, wie die gesamte anlage. das motel war so tot wie nur etwas sein konnte. 



das mädchen hatte ihre arbeit unterbrochen, sass am fenster des diners, starrte auf den parkplatz und wartete. als der rettungswagen mit zuckendem blaulicht am highway in richtung krankenhaus raste, seufzte sie tief und verbarg ihr gesicht in den händen. 
es hatte wieder begonnen. 


 nachtrag: darians freunde blieben trotz wochenlanger suche spurlos verschwunden.

16.8.23


  

I woke up as the sun was reddening; and that was the one distinct time in my life, the strangest moment of all, when I didn't know who I was - I was far away from home, haunted and tired with travel, in a cheap hotel room I'd never seen, hearing the hiss of steam outside, and the creak of the old wood of the hotel, and footsteps upstairs, and all the sad sounds, and I looked at the cracked high ceiling and really didn't know who I was for about fifteen strange seconds. I wasn't scared; I was just somebody else, some stranger, and my whole life was a haunted life, the life of a ghost.”

  -      Jack Kerouac, On the Road    



8.8.23

graue welt

die tage waren lang und von sonnenlicht durchflutet... 

....und dennoch konnte er nicht aufhören, von den friedhöfen zu träumen. er empfand es selbst als sonderbar, aber es quälte ihn auch nicht. in der wild wachsenden, üppigen natur waren diese gedanken jedoch selten bis gar nicht vorhanden. vielleicht fing er oft stimmungen ein, er war sensibel, vielleicht war es nur das. niemand kennt sich selbst. niemand. darum versuchte er manchmal, sich in den herzen der anderen wiederzufinden, doch nie war seine suche eine erfolgreiche gewesen. was ihn inzwischen nicht mehr bekümmerte. die unmenschlichkeit des todes war ihm freude und inspiration, die kälte heilte sein herz. 

doch manchmal war er sich fremd in diesen tagen, seine augen von grau überlagert, sein herz ein klumpen eis. auf seiner stirn schien ein graues juwel zu leuchten und es war glück und unglück zugleich, freude und tiefes leid. es war zutiefst unmenschlich. seine gedanken waren klar und hart, von poetischen sätzen durchdrungen, seine träume die vom fliegen. in diesen tagen. als sein herz gefror. 

und in die arme der natur flüchtete er sich wie ein verängstigtes kind und er weinte tränen aus tiefem leid und scham. sein herz wurde weich, das juwel auf seiner stirn verblasste, das funkeln erstarb. bis zum nächsten mal, als er von den friedhöfen träumte, träumen mußte

6.8.23

über wälder, weit unter dem himmel

über dunkle täler flog sie in dieser nacht, endlos, die wälder unter ihr, endlos auch ihr flug. die luft war kühl und völlig windstill. es hatte am abend noch geregnet und der himmel war völlig klar, die sterne blitzten. sie dachte über das leben nach...hier oben war es einfacher, gute gedanken zu finden.

hatte sie fehler gemacht? viele. grosse fehler waren jedoch nicht dabei. sie musste sich selbst vergeben, jeden tag. sonst könnte sie nicht mehr fliegen, und auch die gedanken wären verschwommen und unklar, nicht so wie hier oben. 

sie sah zum himmel. er war weit weit weg, und sie wusste, dass es in ordnung so war. er war unbegreiflich und ihr so fern, sie liebte es, ihn zu sehen und von ihm zu träumen. ein fehler wäre es gewesen, ihn hierher zur erde zu holen. ein grosser fehler - sie hätte sich nicht so leicht vergeben können. er gehörte nicht hierher. der ferne himmel barg den trost, der sie immer zu heilen vermochte. kein mensch wird den himmel zur erde holen. sie würden etwas holen, was nicht der himmel war, sondern ihre vorstellung vom himmel, und sie würden daran zerbrechen. kein trost wäre mehr möglich. der himmel von menschenhand wäre der hölle ähnlich. weit oben war er und er sollte dort bleiben. 

sie träumte zu gern von ihm. nein, sie war kein engel. obwohl sie manchmal ein bisschen fliegen konnte, war sie einem engel so fern, und mit dieser gewissheit würde sie ein friedvolles leben führen. sie segelte über das dunkle land, das sie liebte. hinein in morpheus arme....