23.11.16

die verlassene puppe

die puppe sass aufrecht in ihrem sitz am fenster. nicht dass es etwas ausmachen würde, wo sie sass. sie starrte mit leeren augenhöhlen geradeaus. von der meereslandschaft, die vor dem zugfenster vorbeiglitt, konnte sie natürlich nichts erkennen. das fenster stand einen spalt weit offen und frische luft drang ins abteil. eine rotblonde haarsträhne wehte in ihr gesicht.
das mädchen war aufgestanden und hinausgegangen, nicht ohne der puppe noch einmal die spitzenhaube zurechtzurücken und ihr übers gesicht zu streichen. sie war aufgestanden und hatte sich noch einmal nach ihr umgedreht, ihre augen waren traurig gewesen, doch sie hatte nicht geweint. an der hand einer erwachsenen frau war sie auf den gang getreten und dann ohne sich umzublicken weiter gegangen. nachdem sie die tür zum abteil leise hinter sich zugezogen hatte.

die puppe starrte geradeaus. ihre händchen lagen in ihrem schoss aufeinander, als wären sie gefaltet worden. ein ganzer tag und eine nacht waren vergangen, ohne dass sich etwas getan hätte. nun war es morgen, das erste sonnenlicht drang durch das fenster des abteils und fiel auch auf ihr haar, das wie menschenhaar glänzte. dass es sich tatsächlich um menschenhaar handelte, war nur den kennern der puppenmarke bekannt. es handelte sich um ein teures modell aus paris, aus einer zeit, die man heute schon vergessen hatte. aus einer zeit der grossen namen, der haute couture, der stilikonen, der echten schönen dinge. sie war eines davon. ihr gesicht aus bisquitporzellan leuchtete,als ein sonnenstrahl darauf fiel, die verirrte haarsträhne, die ihr ins gesicht fiel, schien funken zu sprühen, rotgoldene funken, wie flüssiger bernstein. das kleid der puppe war aus altrosafarbenem damast gefertigt, mit häkelspitze an den ärmeln sowie am ausschnitt des kleides. blassviolette borten zierten das kleid, das mit winterweissen perlen und funkelnden glassteinen in dunkelviolett und burgunderrot bestickt war.

wie sie so da sass, bot sie ein bild von exqusisiter surrealer und morbider schönheit. eine puppe allein in einem verlassenen zugabteil am fenster, mit einer winzigen hutschachtel am nebensitz, wie eine kleine reisende, die am zielbahnhof von ihren eltern abgeholt werden würde. nur dass ihre mutter nicht mehr hier war. sie war irgendwo mitten auf der strecke ausgestiegen. obwohl sie es nicht gewollt hatte. die erwachsene frau hatte sie am arm genommen und hinter sich hergezogen und beide waren an einer haltestelle ausgestiegen, die eigentlich stillgelegt worden war, schon vor langer zeit. die haltestelle war nicht einmal im fahrplan verzeichnet gewesen. der bahnhof hatte ungastlich gewirkt, nicht passend für ein junges mädchen, traurig und grau. das junge mädchen war der einzige farbtupfer gewesen, doch als sie sich vom zug entfernt hatte, waren die farben ausgeblichen, als würde sich ein nebliges tuch über sie legen, klamm und kalt und schrecklich grau. sie war leicht gebeugt gewesen, als sie an der hand der frau gegangen war.


der schaffner betrat den waggon und setzte sich auf den platz gegenüber der einsamen puppe, betrachtete ihr funkelndes kleid, beugte sich vor und strich ihr leicht über die weisse wange mit dem hauch von aufgemaltem rosafarbenem puder darüber. "sie haben sie weggebracht", sagte er. "niemand dachte, dass es so weit kommen würde. hier auszusteigen, mitten auf der fahrt, und das, noch bevor die strecke einigermassen interessant geworden ist... sie hatte nie die chance, das hier zu sehen." er lächelte traurig. "und dich musste sie hier lassen. gerade dich. du warst ihr schatz, so sagte sie zu mir, aber dort, wo sie jetzt hingeht....es ist ein kleiner tod, das erwachsenwerden. manche überleben es, andere hingegen...die träume verschwinden, weisst du. und irgendwie macht man es immer auch freiwillig. wenn sie sich wirklich gewehrt hätte, dann würde sie jetzt noch hier sitzen, zusammen mit dir. nach einiger zeit wird sie dich vermissen. sie wird sich nach dir sehnen und dann wird sie irgendwann wieder hier auf der strecke stehen. sie hätte mit uns reisen können, aber manche ziehen einen langen und qualvollen fussweg vor, über berge und täler, durch dornenhecken und giftiges gestrüpp. du wirst sie nicht wiedererkennen, wenn sie wieder einsteigt. sie wird traurig aussehen. faltig sein und müde. sie wird dich auf den schoss nehmen und langsam werden die erinnerungen wiederkommen. vergiss nicht, dass du ihre seele bist. auch wenn du jetzt so aussiehst, leer und kalt. das warst du nicht immer, ich weiss."

die puppe starrte vor sich hin. in ihren leeren augenhöhlen blitzte für eine sekunde ein lichtstrahl auf, gebündeltes licht in allen regenbogenfarben. dann verschwand es so schnell, wie es gekommen war und in ihren leeren augenhöhlen war nichts mehr als grau.


dennoch war sie sehr schön. es war nur so, dass ihre schönheit etwas schreckliches bekommen hatte, ähnlich einer relique oder eines konservierten leichnams. "wir werden dich einfach hier sitzenlassen", sagte der schaffner. "du hast ein ganzes abteil nur für dich. schade", murmelte er. "so schade, dass das mädchen diesen anblick nicht mehr sehen konnte. gerade jetzt, wo es interessant wird." er beugte sich zu der puppe vor und begann ihr mit leiser stimme zu beschreiben, was er gerade sah. es war für später, wenn das mädchen, das dann eine ältere frau sein würde, wieder am bahnsteig warten würde. warten, auf das, was inzwischen passiert war, auf die geschichten und gefühle...heimwehkrank und voller sehnsucht. "du wirst ihr alles zeigen, sie wird es in deinen augen sehen können", erklärte er der puppe.
"es ist für später. wenn ihr wieder richtig sehen könnt, du und sie."

16.11.16

the raven



            Once upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary,
Over many a quaint and curious volume of forgotten lore -
While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
As of some one gently rapping, rapping at my chamber door.
“’Tis some visitor,” I muttered, “tapping at my chamber door -
Only this and nothing more.”


Ah, distinctly I remember it was in the bleak December;
And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor.
Eagerly I wished the morrow;—vainly I had sought to borrow
From my books surcease of sorrow—sorrow for the lost Lenore -
For the rare and radiant maiden whom the angels name Lenore -
Nameless here for evermore.


And the silken, sad, uncertain rustling of each purple curtain
Thrilled me—filled me with fantastic terrors never felt before;
So that now, to still the beating of my heart, I stood repeating
“’Tis some visitor entreating entrance at my chamber door -
Some late visitor entreating entrance at my chamber door; -
This it is and nothing more.”


Presently my soul grew stronger; hesitating then no longer,
“Sir,” said I, “or Madam, truly your forgiveness I implore;
But the fact is I was napping, and so gently you came rapping,
And so faintly you came tapping, tapping at my chamber door,
That I scarce was sure I heard you”—here I opened wide the door; -
Darkness there and nothing more.


Deep into that darkness peering, long I stood there wondering, fearing,
Doubting, dreaming dreams no mortal ever dared to dream before;
But the silence was unbroken, and the stillness gave no token,
And the only word there spoken was the whispered word, “Lenore?”
This I whispered, and an echo murmured back the word, “Lenore!” -
Merely this and nothing more.


Back into the chamber turning, all my soul within me burning,
Soon again I heard a tapping somewhat louder than before.
“Surely,” said I, “surely that is something at my window lattice;
Let me see, then, what thereat is, and this mystery explore -
Let my heart be still a moment and this mystery explore; -
’Tis the wind and nothing more!”


Open here I flung the shutter, when, with many a flirt and flutter,
In there stepped a stately Raven of the saintly days of yore;
Not the least obeisance made he; not a minute stopped or stayed he;
But, with mien of lord or lady, perched above my chamber door -
Perched upon a bust of Pallas just above my chamber door -
Perched, and sat, and nothing more.


Then this ebony bird beguiling my sad fancy into smiling,
By the grave and stern decorum of the countenance it wore,
“Though thy crest be shorn and shaven, thou,” I said, “art sure no craven,
Ghastly grim and ancient Raven wandering from the Nightly shore -
Tell me what thy lordly name is on the Night’s Plutonian shore!”
Quoth the Raven “Nevermore.”


Much I marvelled this ungainly fowl to hear discourse so plainly,
Though its answer little meaning—little relevancy bore;
For we cannot help agreeing that no living human being
Ever yet was blessed with seeing bird above his chamber door -
Bird or beast upon the sculptured bust above his chamber door,
With such name as “Nevermore.”


But the Raven, sitting lonely on the placid bust, spoke only
That one word, as if his soul in that one word he did outpour.
Nothing farther then he uttered—not a feather then he fluttered -
Till I scarcely more than muttered “Other friends have flown before -
On the morrow he will leave me, as my Hopes have flown before.”
Then the bird said “Nevermore.”


Startled at the stillness broken by reply so aptly spoken,
“Doubtless,” said I, “what it utters is its only stock and store
Caught from some unhappy master whom unmerciful Disaster
Followed fast and followed faster till his songs one burden bore -
Till the dirges of his Hope that melancholy burden bore
Of ‘Never—nevermore’.”


But the Raven still beguiling all my fancy into smiling,
Straight I wheeled a cushioned seat in front of bird, and bust and door;
Then, upon the velvet sinking, I betook myself to linking
Fancy unto fancy, thinking what this ominous bird of yore -
What this grim, ungainly, ghastly, gaunt, and ominous bird of yore
Meant in croaking “Nevermore.”


This I sat engaged in guessing, but no syllable expressing
To the fowl whose fiery eyes now burned into my bosom’s core;
This and more I sat divining, with my head at ease reclining
On the cushion’s velvet lining that the lamp-light gloated o’er,
But whose velvet-violet lining with the lamp-light gloating o’er,
She shall press, ah, nevermore!


Then, methought, the air grew denser, perfumed from an unseen censer
Swung by Seraphim whose foot-falls tinkled on the tufted floor.
“Wretch,” I cried, “thy God hath lent thee—by these angels he hath sent thee
Respite—respite and nepenthe from thy memories of Lenore;
Quaff, oh quaff this kind nepenthe and forget this lost Lenore!”
Quoth the Raven “Nevermore.”


“Prophet!” said I, “thing of evil!—prophet still, if bird or devil! -
Whether Tempter sent, or whether tempest tossed thee here ashore,
Desolate yet all undaunted, on this desert land enchanted -
On this home by Horror haunted—tell me truly, I implore -
Is there—is there balm in Gilead?—tell me—tell me, I implore!”
Quoth the Raven “Nevermore.”


“Prophet!” said I, “thing of evil!—prophet still, if bird or devil!
By that Heaven that bends above us—by that God we both adore -
Tell this soul with sorrow laden if, within the distant Aidenn,
It shall clasp a sainted maiden whom the angels name Lenore -
Clasp a rare and radiant maiden whom the angels name Lenore.”
Quoth the Raven “Nevermore.”


“Be that word our sign of parting, bird or fiend!” I shrieked, upstarting -
“Get thee back into the tempest and the Night’s Plutonian shore!
Leave no black plume as a token of that lie thy soul hath spoken!
Leave my loneliness unbroken!—quit the bust above my door!
Take thy beak from out my heart, and take thy form from off my door!”
Quoth the Raven “Nevermore.”


And the Raven, never flitting, still is sitting, still is sitting
On the pallid bust of Pallas just above my chamber door;
And his eyes have all the seeming of a demon’s that is dreaming,
And the lamp-light o’er him streaming throws his shadow on the floor;
And my soul from out that shadow that lies floating on the floor
Shall be lifted—nevermore!



Edgar Allan Poe - The Raven

1.11.16

Morgiana (1972)






Morgiana is a 1972 Czechoslovak Gothic horror/drama film directed by Juraj Herz, based on a novel by Alexander Grin, Jessie and Morgiana (1929, Wikisource: Джесси и Моргиана). The story is about two sisters, Klara and Viktoria, and the jealousy that overcomes Viktoria when her sister inherits most of their father's property. When Klara becomes involved with a man that her sister loves, Viktoria begins to plot her murder.
The roles of both sisters are played by the actress Iva Janzurová.

https://en.wikipedia.org/wiki/Morgiana_(film)



mein film des tages ist eindeutig dieses juwel aus den siebzigern. allein vom setting und styling her ist der film schon sehenswert. zusammen mit der dramatischen, surrealen handlung und der musik ergibt sich dann dieses stimmige ganze, das man mit einem wirklich guten alten schweren rotwein vergleichen kann. oder mit einer wochenration opium, die man sich in eineinhalb stunden reinpfeift. ich liebe diesen film.

wunderbar ist, dass er mit englischen untertiteln versehen ist, die wirklich funktionieren. ich würde ihn allerdings auch empfehlen, wenn man kein wort davon verstehen würde, allein wegen dieser opulenz. ein guter film, um diesen feiertag noch besser zu machen. ich denke, ich werde ihn mir zusätzlich noch kaufen. er erinnert mich an valeries week of wonders, was ja auch kein wunder ist, da beide tschechische surrealistische filme sind.


update: die version mit den englischen untertiteln ist leider gelöscht worden. ich habe aber etwas interessantes gefunden - sopor aeternus in kombination mit morgiania - passt perfekt zusammen!