16.6.24

In meinen Zimmern roch es nach frischer, kühler  Nachtluft. Alle Fenster standen offen und die feinen Moskitonetze vor den Fenstern wehten im Luftzug. Ich war froh, daß Charlotte mitgekommen war. Die weißen Gespinste vor den Fenstern erinnerten mich an ihr Kleid und an ihre hüftlangen, hellen Haare. Eine Tiara würde ihr gut stehen, mit eisblauen Schmucksteinen. Ich wanderte langsam durch die Räume und ließ mich vom Nachtwind streicheln. Die Moskitonetze berührten sacht meine Arme, streiften an meinen Beinen, wie die Netze von grossen Spinnen. Der Mond stand am Himmel. Er leuchtete durch die weissen Stoffbahnen. Auf dem Boden bildete sich ein Pool von Licht, auf den Fensterbänken und in den Mauernischen funkelten die silbernen Kerzenständer und Bilderrahmen, die Tierschädelchen und Knochen schlummerten mondlichtübergossen in ihren Glaskästchen. Der sachte Luftzug ließ die winzigen Glöckchen und Glasscherben des Windspiels leise klingen und klirren. Vom geöffneten Fenster im Erdgeschoß drang Musik zu mir herauf und leises Lachen. Ich setzte mich in den Fleck aus Mondlicht auf den Boden und hörte nur zu. Geräusche lagen im Wind, die kamen von weit her. Das tiefe Atmen der Schlafenden, das leise Weinen eines alptraumgeplagten Kindes, Katzen auf den Dächern...das Flattern gigantischer Flügel. Manchmal hörte ich es, wenn die Nächte still und lichterfüllt waren wie diese Nacht. Ein Mann vor der Scheibe des Mondes, in einem schwarzen Mantel oder Cape. Traurigkeit ging von ihm aus und Lächeln. Vielleicht war er der Tod, der unterwegs war in solchen Nächten und ich konnte das Flattern seiner schwarzen Schwingen hören?


Ich suchte nach meinem neuen Tarotdeck, das irgendwo im Wohnzimmer sein mußte. Ein Vampirtarot, das wir heute einweihen wollten. Ich fand es schließlich auf dem Katafalk und nahm es mit nach unten, nachdem ich den Vogelspinnen einen Besuch abgestattet hatte. Die nachtaktiven, pelzigen Tierchen waren gerade dabei, zu dinieren. Die dicke Priscilla tat eigentlich nichts anderes als essen und schlafen. In meinem nächsten Leben wollte ich Priscilla sein. Nur hatte ich kein nächstes Leben mehr. Nur dieses, was mir aber völlig ausreichte.


Lila G. Pahr: Spookland