enrique war schon den ganzen tag sauer. er war meistens schlecht drauf - er hatte ja auch keinen grund, gut drauf zu sein. in seiner kammer unter dem dach zog es immer wie in einem rattenloch. diesmal jedoch war er besonders mies drauf, denn es regnete seit stunden und er hatte missmutig bemerkt, dass die wände seines verschlags immer feuchter wurden.
in breiten rinnsalen strömte der regen über den bereits nassen verputz, der sich langsam von der wand ablöste und sich mit dem regenwasser zu weisslichen schlieren verband, und dieses eklige gips-wassergemisch hatte sich in grossen pfützen auf dem lückenhaften boden gesammelt. es tropfte durch den boden in die untere wohnung, die seit jahren leer stand. eigentlich, seit er im dachboden eingezogen war. beziehungsweise hier eingezogen worden war. er war hier oben völlig isoliert.
etwas gutes hatte der regen jedoch. enrique war imstande, sich nun eine tasse tee zu kochen. aus dem wasserhahn in der küche kam kein normales wasser mehr, nur noch ein bräunliches sumpf-ähnliches gebräu, das er schon trank, aber eben nicht gerne. er war jedoch weiss gott nicht heikel. seine schlechten erfahrungen hatten ihn gelehrt, dass es ihm nichts brachte, mimosenhaft zu sein. er besass die härte, den braunen sud zu trinken und sich natürlich ab und zu damit zu waschen. obwohl er es tunlichst vermied, sich häufig zu waschen. die dusche im winzigen fensterlosen bad am gang knarrte und quietschte bei jedem waschgang - das geräusch ging durch mark und bein und liess eine gänsehaut auf seinem rücken wachsen - und ein beben ging durch die wände, wenn er das wasser anmachte. wo die uralten bleirohre durch die wände verliefen, beulte sich die tapete merkwürdig und die bleichen blüten blähten sich leichenhaft und abartig wie pralle tumore.
er warf einen teabag von anno schnee in das lauwarme wasser. seine kochplatte, die unter der riesendunstabzugshaube stand, war gerade sanft entschlafen und hatte sein frisches regenwasser nur noch lau gemacht, dann war es aus mit seiner unbeschreiblichen freude. enriques lebensgeister erloschen und er sackte in sich zusammen. er war nur noch fähig, mit leerem blick aus dem fenster zu starren und den tee gelegentlich umzurühren, was eigentlich nichts brachte, denn zucker und milch hatte er ja nicht. der ausblick war sowas von öde. eine graue dachlandschaft und darüber noch grauere wolken.
passte farblich genau zu seinem tee.
der schimmel blühte auf seinen wänden und bald würde er auch auf seinem bett blühen, denn enrique sah keine veranlassung, sein bettzeug, auf das es regnete, zu wechseln. solche lappalien kümmerten enrique nicht die spur. er war schlecht drauf.
er war so schlecht drauf wie noch nie in seinem leben, und das mochte was heissen. wenn er an den winter dachte, wurde ihm schlecht. erstens hasste er den winter (so wie jede jahreszeit) und zweitens würde es dann auf sein bett schneien, es sei denn...
...ja, es sei denn, ihm würde etwas einfallen. eigentlich war ihm schon etwas eingefallen, gerade vorhin, aber dieser plan erschien ihm doch zu gewalttätig. allerdings war es auch schon egal, was er machte, denn monströser als er konnte man sowieso nicht mehr werden.
er pflückte eine spinne von der wand und steckte sie sich in den mund. kaute drauf herum und überlegte. sein plan könnte klappen.
aber es wäre auffallend, wenn gleich eine ganze familie aus dem gemeindebau verschwand. seine familie.
er spuckte einen bräunlichen klumpen in den hof und stellte sich vor, wie er seine mutter am kopf traf. und wie sie zu seinem verschlag emporblickte, den kopf zwischen die schultern zog und leise vor sich hinfröstelte.
alles war ihre schuld. ihre verdammte schuld.
er hatte überhaupt keine gute erinnerung an sie. nicht eine einzige. er brauchte sich nur ihr verkniffenes mäusegesicht vorzustellen, ihr fahlblond und den gestank ihres billigen haarfestigers, die grellpinken lockenwickler und ihre ewigen wasserabweisenden schürzenkleider und er hatte wieder mal ein problem damit, einzuschlafen. den rest tat sein müffelndes bettzeug dazu, das eigentlich nie trocken wurde, denn es regnete seit tagen in kontinuierlichen intervallen.
enrique wurde langsam eine gestalt wie aus einem trashfilm, von flechten bewachsen, vom verputz weiss angebröselt
und vom regen immer wieder angepisst.
und enrique war schlecht drauf.
und das war schlecht,
sehr, sehr schlecht.