22.2.24

hasta el viento tiene miedo


even the wind is afraid 

genialer mexikanischer horrorfilm aus dem jahr 1968 in der originalfassung ohne untertitel. ich habe schon andere versionen gesehen, alle waren qualitativ nicht halb so gut wie diese. die meisten sind extrem dunkel und verwaschen, man kann nicht viel erkennen. hier stimmt alles. der film ist so schön, dass ich ihn mir ansehen kann, ohne die originalsprache zu sprechen. allein die nachtszenen mit der gruft sind es wirklich wert. 










5.2.24

The Milky Way

Er wachte auf, ging in die Küche hinunter, nahm sich ein Glas kalte Milch, setzte sich an den Küchentisch und trank das Glas leer, füllte es wieder auf, trank erneut, diesmal in einem Zug, stand auf, nahm sich gleich die ganze Packung, trank sie aus, riss die nächste auf und trank und trank, bis die schlierige Flüssigkeit aus Mund und Nase quoll und Pfützen auf dem Tisch bildete, die er gierig aufschlabberte wie ein Hund.

Zu viel Milch und immer noch durstig. Wie ein brennendes schwarzes Loch in seinen Eingeweiden.

Er hatte die Kühlschranktür offen gelassen, das kalte Licht liess seine Augäpfel wie Murmeln aus Milchglas schimmern oder wie gefrorenes Speiseeis. Die Milch in seinen Eingeweiden erstarrte zu einer dickflüssigen klebrigen Masse, seine Augen schillerten insektenhaft, sein Bauch blähte sich wie ein Ballon.

Er sah sich träge um, erhob sich mühsam und stakste auf seinen spindeldürren Beinen zu dem alten Küchenkasten, den er vorige Woche leer geräumt hatte. 

Sogar die Regalbretter hatte er entfernt. Ächzend hob er ein Bein und stellte es hinein, dann das andere, bis er schliesslich im Küchenkasten stand, leicht gebückt, den aufgeblähten Bauch wie eine Trommel vor sich hertragend. Mit lautem Ächzen bemühte er sich, die Tür des Schrankes mit seinem ausgestreckten Arm zu erreichen. 

Seine Finger krallen sich in das Holz der Tür und er zog sie langsam zu sich heran, sie quietschte widerstrebend und liess sich kaum bewegen oder war es diese  plötzlich auftretende immense Müdigkeit, die ihn seiner Kraft beraubt hatte?  

Er musste jetzt schlafen, lange schlafen, doch zuvor musste er sich seinen Schafplatz richten, einen weichen, seidigen, milchigweissen Kokon, der alle Geräusche der Aussenwelt sanft von ihm fernhielt. 

Die Tür drückte gegen seinen prallen Bauch, den er nicht mehr einziehen konnte, er quiekte protestierend und stampfte mit den Füssen auf, doch als er sich mühte, gelang es ihm schliesslich, sie ganz zu schliessen. Das letzte, was er sah, bevor sie mit leisem Knacken ins Schloss fiel, war das Licht, das wie ein Milchstrahl aus dem Kühlschrank in seine Augen drang, und sie wie Insektenaugen schillern liess.

16.12.23

das wunder


in meinem letzten blogeintrag war meine mutter gerade dabei, wieder essen zu lernen und sie konnte schon ein bisschen mit mir am telefon reden, wenn mein vater ihr das handy gehalten hat.
danach ging es sehr schnell voran, es gab kaum einen tag ohne fortschritt. sie war drei wochen auf der remobilisierungs-abteilung und genau diese drei wochen haben ihr richtig gut getan. erstens sind die leute dort sehr nett und zweitens möchte sie wieder auf die beine kommen. genau das lernt man dort. stehen, gehen, sich eventuell selbst waschen, zähneputzen, sich richtig hinsetzen, hinlegen, aufstehen... es ist die vorstufe der reha kapfenberg. 
ihr luftröhrenschnitt wurde nicht chirurgisch vernäht, es ist immer noch ein kleines loch im hals, aber es tut ihr nicht weh. sollte das loch nicht zuwachsen, müssen wir es vernähen lassen, aber man kann sich damit zeit lassen. wenn sie hustet, pfeift es ein bisschen. ich war in der letzten zeit bei mir zuhause, aber ich telefoniere ein paar mal am tag mit meinem vater und auch mit mom und deshalb bin ich immer informiert. ich liebe meinen job, aber diesmal war es brutal, arbeiten gehen zu müssen. ich wäre lieber bei ihnen gewesen.

mein vater war bis auf seltene ausnahmen (bei glatteis) jeden tag bei meiner mutter im krankenhaus. er ist nicht mehr der jüngste und es war anstrengend, aber er war immer aktiv, erinnerte mich ein bisschen an den duracellhasen. ich glaube, am anfang war es für ihn einfach nur wichtig, nicht denken zu müssen. er war ununterbrochen aktiv, auch im haushalt, beim einkaufen, dann im lkh. nur tun und nicht denken ist manchmal das einzige, was man machen kann, um durchzuhalten. 


meine mutter war beim remobilisierungstraining richtig gut unterwegs, das einzige, was sorgen machte war, dass sie nicht viel essen konnte/wollte. frühstücken ging grad noch, meistens eine buttersemmel mit honig und natürlich kaffee, aber danach ging kaum mehr was runter. sie sagte, ihr magen würde weh tun, was schon verständlich ist, wenn man bedenkt, wie sie sich in der letzten zeit ernähren musste. sondennahrung muss man erst mal aushalten. der magen muss sich wieder an gekaute und geschluckte nahrung gewöhnen. sie ist sowieso sehr zierlich und wurde also noch dünner, aber sie hatte gottseidank immer noch genügend energie für's training. eine gruppentherapie hatte sie auch, mit 6 leuten, und nach dieser therapie, in der sie anscheinend hervorragend war, wurde beschlossen, dass sie am 16. 12. entlassen werden sollte. es gab einige ärztekonferenzen und man war sich sicher, dass meine mom reif für die reha war. inzwischen konnte sie das handy schon selbst halten, meinen vater und mich selbständig anrufen und völlig normal reden. überhaupt nicht verwaschen oder seltsam. ihr vokabular dürfte schon so sein wie vor dem unfall, sie durchwühlt ihr gehirn nicht mehr nach wörtern oder redewendungen, sie redet sehr schnell und fließend. es ist wunderbar, wieder meine mom am phone zu haben und mit ihr dinge zu bequatschen, über die wir früher immer geredet haben. vor nicht allzulanger zeit dachte ich, so etwas würde nie wieder möglich sein. man hat ja hoffnung, aber meistens ist man nicht wirklich so optimistisch, wie man sein sollte, sondern eher müde und traurig. hoffnung zu haben ist aber kein fehler, kann ich nur aus eigener erfahrung sagen.

meiner mom war ja dauerlangweilig, also haben ihr die schwestern ein readers digest buch gegeben, ein bisschen zum durchblättern. sie hat immer wieder darin gelesen und sie hat auch meinem vater ein paar absätze vorgelesen. war einer der richtig guten tage. solche gab es nämlich, tage mit extremen fortschritten, die man niemals erwartet hätte. mein dad hat ihr dann eins von ihren büchern mitgebracht. sie hat entweder selbst gelesen, natürlich immer nur ein bisschen, oder  eine krankenschwester hat ihr vorgelesen. wir haben oft  geredet, sie hat immer mehr von meinem leben gewusst, immer mehr details waren plötzlich da. die zeit war schnell vorbei, nur für meine mutter war sie endlos, weil sie natürlich nach hause wollte.


der kurzzeit-pflegehorror

nach dem aufenthalt im lkh sollte eigentlich gleich die reha kapfenberg beginnen, aber es ist nicht leicht, sofort einen platz zu ergattern. auch wenn man lange vorher schon angemeldet wurde, kann es sein, dass man monate warten muss. was macht man in der zwischenzeit, wenn man noch gepflegt werden muss? am besten zu hause mit hilfe der familie, aber irgendwelche genies am lkh dachten, meine mom würde noch 24-stunden-pflege benötigen. was nicht stimmte. sie konnte schon so ziemlich alles selbst erledigen. mein dad kriegte eine spur die panik. 24-stunden-pflege, auch nur für kurze zeit, ist sicher absolut grausam. eine fremde person wohnt bei dir im haus, du weisst nichts über sie, du musst mit ihr immer kommunizieren und sie ertragen. mein dad hatte ganz einfach richtig angst. die 2. version ist das kurzzeit-pflegeheim. sie quartieren dich in einem heim ein, als gast, und du reisst dort die zeit runter bis zur reha. man konnte sogar einen platz für mom ergattern, aber wir waren alle nicht froh darüber. wir alle waren der meinung, dass meine mutter das erstens nicht nötig hat und dass zweitens ihre (psychische) gesundheit darunter leidet. niemand konnte nachvollziehen, woher die idee zu dieser 24-stunden-pflege überhaupt gekommen war. vielleicht hatte man einfach angst, dass meine mutter im haushalt verunglücken könnte. sie ist im lkh einmal im bad umgefallen, hat sich nichts getan, aber das gibt sicher zu denken. nur 24 stunden dauerbeobachtung? seltsam. unsere situation hatte sich plötzlich ziemlich verschlechtert, es war einfach nur extrem frustrierend.

ich hatte dann die idee, kapfenberg zu kontaktieren und eventuell ein bisschen zu checken, ob man meine mom eventuell früher aufnehmen könnte.
ausserdem hat m. mir von einem fall in seiner bekanntschaft erzählt- sein arbeitskollege wollte seine mutter nach einem schlaganfall in einer reha unterbringen (war aber nicht kapfenberg), am lkh wurde ihm bescheid gegeben, dass sie angemeldet wurde, aber das stimmte nicht, sie war nicht auf der liste und das ganze wurde noch einigermassen stressig. wir haben von kapfenberg lange zeit überhaupt keine nachricht bekommen und niemand wusste bescheid, also hab ich dort mal angerufen. es gibt eine hotline - 1 stunde pro tag. durchkommen ist fast unmöglich. nach 4 x anrufen dachte ich mir, mann dann ruf ich halt jeden tag dort an, auch egal. sie haben mich aber zurückgerufen. eine superliebe krankenschwester war dran, die mir zwar bestätigen konnte, dass meine mom schon auf der liste steht, aber nicht, wann es denn soweit sei. sie war als schwerstbehindert angemeldet (was sie schon lang nicht mehr ist). sie wurde gleich nach dem aufwachen aus dem künstlichen tiefschlaf dort angemeldet (das einzige, was sie damals schon konnte, war selbständig atmen). man hat kapfenberg über den zustand meiner mutter nicht weiter informiert, was schlecht ist, denn die wirklich stark behinderten patienten finden dort schwerer einen platz, es dauert einfach länger. die krankenschwester wollte von mir alles über den zustand meiner mutter wissen, wie weit sie schon ist und wie das denn so wäre mit der kurzzeitpflege. ich habe ihr gesagt, dass weder 24-stunden-pflege noch ein heim für mom in frage kommen. sie sagte, sie würde den ärzten alles berichten und ich solle hartnäckig sein und ein paar mal in der woche anrufen. aber am nächsten tag wurde mir mitgeteilt, dass kapfenberg mit dem lkh ein telefonat geführt hat. 


es geht ja doch

24-stunden-pflege und heim waren vom tisch. meine mutter darf nach hause und soll vom roten kreuz gepflegt werden, soll heissen, dass 2 x am tag eine hauskrankenschwester kommt und nach meiner mutter schaut. es sei denn, dass kapfenberg sie früher einberuft. und das war wieder ein problem, denn meine mutter muss ein paar wochen zuhause verbringen. sie ist müde, sie isst nicht viel, sie soll sich ausruhen, damit sie wieder durchstarten kann. man kann sich das eigentlich nicht aussuchen, aber versuchen muss man immer alles, also hab ich mich wieder ans phone gehängt und mit der dame von der reha geredet. sie kann nichts versprechen, aber sie versteht unsere situation und wird den ärzten wieder berichten. ausserdem wird das gebäude gerade restauriert und ein flügel geschlossen, sagte sie, also wäre es wahrscheinlich sowieso erst ab jänner möglich. das wäre perfekt.


und dann kam corona

meine mutter sollte heute entlassen werden, aber es kam anders. das lkh war plötzlich geschlossen, mein vater kam nicht mehr rein. man hat ihn angerufen, dass niemand das krankenhaus betreten darf. die dame, mit der meine mom das zimmer teilte, war schon abgeholt und nach hause gebracht worden. meine mutter hatte noch eine nacht im krankenhaus vor sich und wurde dann am 14. 12. nach hause gebracht. sie wurde nicht reingetragen, sondern konnte selbst gehen. am nächsten tag gab es schon essen auf räder für beide, krankenschwester und der mann vom roten kreuz waren auch schon hier, medikamente von der apotheke abholen, mom pflegen - alles läuft perfekt. nur hat meine mutter genug von der dauerpflege. sie möchte es endlich allein schaffen. sie hasst es, dass fremde leute bei uns zuhause sind und sie will ihr leben ganz zurückhaben. sieht wirklich so aus, als würde sie es schaffen. aber zuerst kommt die reha in kapfenberg, dann sehen wir weiter. nein, zuerst kommt weihnachten. dann der rest.

25.11.23

das stille liebespaar


er liest ihr aus einem buch vor.

sie ist so auf ihn konzentriert, dass sie die umgebung nicht beachtet. er ist ein schöner mann, vielleicht nicht schön für den geschmack der masse, dafür ist er zu dünn. sein gesicht ist sehr schmal, seine wangen sind leicht eingefallen, doch sein mund ist voll und sieht sinnlich aus.
er liest ihr konzentriert vor und sie sieht ihm ins gesicht. sie wirkt nicht so, als könnte sie sich auf das konzentrieren, was er liest, obwohl sie sich mühe gibt. er lenkt sie zu sehr ab. sie studiert seine züge wie eine landkarte, die man liebevoll und aufmerksam studiert, wenn man eine lange reise plant.
ein unerforschtes land.

wenn er so liest, sieht er jesus ähnlich, der gerade seinen jüngern ein gebet vorträgt - so sehr ist er auf den text konzentriert. er will sie damit bezaubern, aber das hat er schon längst getan, durch seine gegenwart allein. ein wenig erinnert er auch an johnny depp oder che guevara, ein abenteurer, einer, der nie den leichtesten weg geht.

neben den beiden liegt sein abgegriffener gitarrenkoffer auf der bank. das mädchen kann nur ein paar akkorde, aber sie liebt es, seine gitarre in ihren händen zu haben, und ohne es wirklich zu können, darauf zu spielen und dazu zu singen. die stimme des mädchens klingt wie regen. sie hat nie singen gelernt, aber ihre stimme ist fein und ausdrucksvoll und vibriert wie regen, der zur erde fällt.
dann sieht er sie ähnlich an wie sie ihn gerade eben, konzentriert, wie eine landkarte. 
orte, die alle poetische namen haben. strassen, die nie in die irre führen. auf seltsame art schon jetzt vertraut, aber nicht daran gewöhnt, nie daran gewöhnt, und so wird es immer sein. 
ein regenbogen mit einem topf gold am anderen ende.

20.11.23


das mädchen im blauweissen shirt sitzt stundenlang in derselben position und blickt aufs meer hinaus
am gang lehnt ein junger mann an der halboffenen tür seines abteils und sieht den möwen zu
seine zigarette verglüht hinter ihm unbeachtet zu asche
der lokführer hält eine antike seefahrtskarte in der hand
er blickt sinnend auf den blankpolierten kompass
schaltet die geräte ab und lehnt sich zurück
grünes meerwasser spritzt auf die scheibe
ein buntgewandeter seiltänzer tanzt 10 meter über der meeresoberfläche
die enden des seils verschwinden im dunst am horizont
was für ein schöner anblick das ist, murmelt schläfrig eine alte frau am fenster
ich wollte ihn doch immer noch einmal sehen
er verneigt sich leicht, während sie ihm leise applaudiert

15.11.23

der engel des anbrechenden tages

in einem abteil weiter vorn im zug. die vorhänge an der tür sind halb zugezogen, sie flattern im luftzug, das fenster steht offen. jemand liegt auf der bank und sieht hinaus. ein mädchen, ganz allein.

sie trägt eine kurze hippiebluse mit rotem blütenmuster zu dunkelblauen jeans, die an ihren hüftknochen hängt, dunkelblau, retro, mit abgewetztem stoff, auf dem geschliffene bunte glasperlen funkeln wie kleine verirrte sterne, wunderschön wie alles, was sie trägt, zwischen sehr schäbig und sehr glamourös, nicht grad stylish, sondern mehr, niveauvoll auf eine art und weise, die man nicht auf den ersten blick erkennen würde, auf den zweiten blick umso mehr, aber dann kann man ohnehin nicht mehr wegsehen, von dieser erscheinung, die elfengleich oder wie einer dieser unfassbar schönen rockstars einfach nur enspannt auf der bank liegt und gleichzeitig so aussieht, als würde sie posieren. bei ihr sieht alles wie pose aus, alles was sie tut, und wenn sie nur beim bäcker baguettes kauft. wahrscheinlich, weil sie elegant ist, zart und mit langen gliedmassen, elegant von natur aus.

an ihrem hals hängt ein lederband mit einem silbernen blüten-anhänger, der nach flohmarkt aussieht oder nach einem dieser wirklich guten juweliere, die schmuckstücke herstellen, die nach flohmarkt aussehen, und wieder muss man daran denken, wie es ist, einfach so am frühen sonntag morgen über den flohmarkt zu schlendern, mit wenig geld aber viel zeit, und dem tag beim erwachen zuzusehen, vielleicht danach eine tasse milchkaffee zu trinken, in einem winzigen kaffeehaus, in dem es nach frischen brötchen und kaffee duftet, nachher blumen für die wohnung zu kaufen, die man in den flohmarktvasen überall in den zimmern verteilt
sie sieht nach allen diesen dingen aus, wie gemalt, ein bild aus angenehmen erinnerungen und frischen träumen, wie der tag, der gerade anbricht, kaleidoskopartig bunt, gemustert, durchbrochen von versprengtem sonnenlicht und
verwirbeltem zigarettenrauch.

ungewollt wie ein rockstar auszusehen und immer noch wie ein kind zu sein, das hat sie wohl gut drauf und es ist bei ihr echt und nicht gestellt, das sieht man an ihren augen, die wie die eines rehs sind, dunkelbraun und weit offen. klare augen. wie ein waldteich, bei dem man auf den grund sehen kann, ohne trübungen, als wäre alles ganz einfach, was es sicher nicht ist, und sie weiss das, aber es kümmert
sie nicht. sie reist in ein unbekanntes land, das sie nicht fürchtet. vielleicht gäbe es einiges, was zu fürchten wäre, aber wie es eben so ist, es kümmert sie nicht. sie hat genügend kraft und innere ruhe.


diese reise anzutreten, das wünschte ich uns allen, eine reise in ein frisches grünes land, zusammen mit den engeln des anbrechenden tages. es liegt an uns, was wir daraus machen.

12.11.23

horror-dornröschenschlaf und der kaffee nach dem aufwachen

vor über einem monat, am 3. oktober, war wieder mal ein besuch von mom angesagt, so wie immer, zum kaffeetrinken und reden, also ein sehr guter tag. wenn er gewesen wäre wie immer. mir ist von anfang an aufgefallen, dass etwas anders ist als sonst. normalerweise ist sie immer am frühen nachmittag hier, damit wir mehr zeit haben, aber dieses mal war sie erst gegen 16 uhr hier und ich dachte noch, verdammt, das wird im prinzip sehr stressig, wie wollen wir da alles besprechen. sie hat einiges von zuhause mitgebracht, ich hab sie unten beim briefkasten schon getroffen und wollte ihr die sachen abnehmen und sie meinte noch, sie müsste noch was holen, und vielleicht würde ich mal kaffee kochen und sie kommt dann nach. ich koche immer espresso für mom, den hat sie zuhause nicht und sie freut sich immer drauf. also bin ich zurück in die wohnung, kochte den espresso und warte. dauerte lang. hm, ok, dachte ich, sie hat halt was vergessen und ist zum supermarkt gefahren, sie sagte doch, ich soll schon mal vorgehen und warten, sie würde eh bald kommen. dachte bei mir, meine mom wollte wahrscheinlich noch was süsses zum kaffee mitbringen, macht sie ja oft. und ich wartete. und wartete.

und wartete.

unten vorm haus war ein riesentumult, ist mir vage am rand aufgefallen. sehr viel polizei, strassensperre, anscheinend ein wirklich schlimmer unfall. ich dachte mir, kein wunder, die leute rasen dermassen, musste ja mal passieren, vor allem, da unser haus mitten in einer kurve steht. meine mutter würde einfach nicht durchkommen und warten, bis der horror da unten vorbei ist. eine rettung kam, fuhr bald danach ohne blaulicht ganz langsam wieder weg, ich spürte dieses sonderbare gefühl, dass es ja sein könnte, dass es meine mom sein könnte, die da drinnen liegt, und das seltsame war, dass dieses gefühl von anfang an da war, aber dass ich es einfach immer weggekickt habe, denn das darf nicht sein, meiner mutter passiert so etwas prinzipiell nicht, nicht sowas schlimmes. das ist nicht sie. 

dann hat mein vater angerufen, ob meine mutter gut angekommen ist... ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich sagte nur, sie wär was besorgen gegangen und noch nicht hier. was ihm seltsam vorkam. mir in meinem wunderlichen gemütszustand kam das ganze wirklich normal vor, denn meine mutter hat keine solchen unfälle, nicht sie, niemals. im supermarkt wäre ganz einfach viel los um diese zeit und dann würde sie ja noch warten, bis man wieder über die strasse gehen konnte. dass sie in so einem fall ganz sicher anrufen würde, ist logisch, aber ich hab nicht mal dran gedacht. mein mantra war nur: sie ist völlig ok und ihr ist nichts passiert. der rest war nicht mehr existent. 

ich hab dann mit meinem supernervösen vater ausgemacht, dass ich mit der polizei rede (ganz ganz klasse das, ich und mit der polizei reden) und ging runter auf die strasse und fragte nach. die polizistin sagte, es wäre schon eine frau überfahren worden, aber die wäre 96 jahre alt. sehr viel älter als meine mutter. also ging ich wieder in meine wohnung und berichtete alles meinem dad, der schon entführungs und lösegeld-wahnvorstellungen hatte. der abend kam dann und ich war noch keinen schritt weiter. meine mom war weg, unser auto stand verlassen am parkplatz, mein kaffeekonsum wurde langsam lebensbedrohlich. im internet stand nichts, es gab zwar schon einen unfall, ein paar stunden vor dem unfall vor unserem haus - eine studentin wurde von einem lkw totgefahren, ganz in der nähe. so schlimm, aber ich war nicht wirklich in der lage, wirklich was zu fühlen. ich begann, die krankenhäuser anzurufen. zuerst das ukh. wenn, dann wäre sie doch im unfallkrankenhaus, da landen unfallopfer doch immer. niemand wusste von ihr. dann das lkh, mit genau demselben ergebnis. meine mutter war anscheinend nicht dort. private krankenhäuser? eher bullshit, denn bei uns ist's meisens ukh oder lkh, sonst nix. weiter anrufen, nur wo? blieb natürlich nur die polizei übrig. aber ich wusste nicht, welche abteilung ich anrufen sollte bzw. welche leute da auf der strasse vor unserem haus gewesen waren. also suchte ich die nummer der polizeistation, die für unseren distrikt verantwortlich ist raus und versuchte es dort. eine sehr nette junge frau ging ran und versprach, mir zu helfen. sie meinte, es könnte allerdings ein bisschen dauern.

nach ca. 1 std war sie wieder da und sagte, die polizei hätte gleich nach meinem anruf eine fahndung rausgegeben, denn meine mutter war wirklich wie vom erdboden verschwunden.


schliesslich wurde sie dann doch lokalisiert, und zwar im lkh graz, chirurgie 1. absolut gute arbeit der polizei, denn meine liebe mom hat die ecard eigenartigerweise zuhause vergessen - sie hat sie sonst aber dabei und ich hab nicht die geringste ahnung, warum sie nicht im portemonnaie war bei den kreditkarten, denn das muss einfach so sein. ausweis hatte sie auch nicht dabei, denn der war im auto. und als sie in die rettung geladen wurde, konnte sie noch ein paar sätze sagen, nur sehr unverständlich. sie hat den nachnamen so ausgesprochen, dass die polizisten dachten, sie wäre diese andere frau, die viel ältere. kam den polizisten sonderbar vor, sie schaut nicht alt aus, und ausserdem wurde dann später noch eruiert, dass diese ältere dame schon verstorben ist. also war meine mutter im lkh als "notfall" eingeliefert worden, ohne namen, ohne infos, ohne alles. ich rief also im lkh an, wieder. die frau, mit der ich telefonierte, wollte mir nichts sagen, ausserdem wollte sie mehr infos, denn die chirurgie 1 hätte 9 stockwerke und das, was ich wusste, war zu wenig. ich wieder bei der jungen frau vom wachzimmer angerufen. (die nacht wurde langsam sehr lang) die polizistin meinte, die pfleger im krankenwagen hätten nur "chirurgie 1" gesagt und wären dann gefahren, mehr infos gab es nicht. also haben wir ausgemacht, dass jetzt sie dort anrufen würde, denn der polizei müsste das lkh schon auskünfte erteilen. nach längerer zeit war es dann soweit und wir wussten, wo meine mutter war. chirurgie 1, neurologische intensivstation. mit einem schädelbruch und einem hirntrauma, natürlich nicht ansprechbar.

diese nachrichten musste ich dann meinem vater überbringen, was mehr horror war, als ich mir jemals vorstellen konnte. mein dad reagierte aber anders als gedacht. er wurde sozusagen zu einem duracell-hasen, denn er schaltete sofort in einen dermassen speedigen action-mode, dass mir anders wurde. begann sofort den koffer zu packen, auch für meine mom und bestellte schon das taxi für den nächsten tag. er ist tatsächlich mit dem taxi hierhergefahren, was aber verständlich ist. hätte ich genauso gemacht. wir fahren alle nicht auto, nur meine mom und die öffis sind in diesem fall nicht hilfreich. um 2 uhr morgens endete einer der schlimmsten tage unseres lebens. aber es ging sehr schlimm weiter.


am nächsten tag früh am morgen rief die polizei bei mir an, und zwar die leute, die tatsächlich den unfall aufgezeichnet haben, nicht das wachzimmer. und die leute vom unfallkommando waren fast schon lebensretter. wir haben ziemlich oft miteinander geredet in letzter zeit und der mann, mit dem ich gesprochen habe, sagte, ich könnte immer anrufen, egal was ich brauche, auch nur zum reden. er meinte, die gedanken des ganzen dezernats wären bei meiner mutter. und er schilderte mir den unfallhergang: ein rennradfahrer ist ungebremst in meine mutter reingefahren, als sie die strasse überqueren wollte. der radfahrer sagte natürlich, dass meine mutter schuld wäre, aber das ganze wird später abgehandelt und darüber werde ich später noch schreiben. wir haben inzwischen auch einen sehr guten anwalt, der alles erledigen wird. zuerst war das wichtigste, dass meine mutter überlebt.


auf der intensivstation

meine mom war im künstlichen tiefschlaf, wurde  künstlich beatmet und hatte 2 medikamentenständer, die randvoll waren. rund um sie nur monitore und ziemlich gruselige geräte. als sie eingeliefert wurde, musste man ihre kleidung zerschneiden, weil sie natürlich nicht bewegt werden durfte. dann kam gleich eine notoperation. durch den aufprall am asphalt hatte sie eine hirnschwellung und war in lebensgefahr. sie wurde von der primaria, die sehr gut sein soll, operiert, wenigstens war das mal beruhigend. später gab es noch mal eine hirnschwellung und ein blutgerinnsel, das aber mit medikamenten beseitigt werden konnte. über 3 wochen tat sich fast gar nichts. sie war im tiefschlaf, wurde beatmet, konnte nicht geweckt werden, weil ihr hirn ruhe brauchte. "feierte" geburtstag auf der intensivstation, schlafend. der schlauch, den sie im mund hatte, wurde dann mal entfernt, sie wurde aber weiterhin künstlich beatmet, über einen luftröhrenschnitt und die kanüle, die ihr eingesetzt wurde. ernährung durch eine sonde in der nase. die hirnsonden wurden langsam entfernt, kopfverband blieb noch, aber langsam konnte man erkennen, dass ihre haare nachwuchsen (sie hatte anfangs eine glatze). es kamen auch mal ärzte zu uns, die mehr oder weniger nützliche dinge sagten, am unnützlichsten war die info, dass meine mom aufgrund der schwere der verletzungen wahrscheinlich eine intensivpflegepatientin bleiben würde, eventuell heimpflege bräuchte und ja eventuell könnte sie sich ja noch erholen, aber man glaube es im grunde ja nicht wirklich. hm. kommunikationsgenies. die sollte mal einen kurs machen, wie man mit angehörigen redet, denn ehrlich, mein dad war grün im gesicht und wär fast vom sessel gekippt. was bringt es, wenn das pflegepersonal noch zusätzlich leute krank macht? aber egal, ich war da schon wie ein zombie, mein dad mutierte zum gespenst und meine mom war ohne bewussein. meine family!! wir sind officially fucked. am ende, ärger ist nur der tod, und der war nah dran bei meiner mom.


man überreichte uns ein attest sowie den antrag auf erwachsenen-vormundschaft. mein vater sollte darum bei gericht ansuchen, dann könnte er moms angelegenheiten erledigen. kam uns extremst ekelhaft vor, aber ok, ekelhaft war eh schon alles, also nimmt man das auch noch mit. dann wurde uns gesagt, dass man für meine mutter nichts mehr tun könnte. und ich hab wieder mal die nerven ad acta gelegt. was zur hölle soll das wieder heissen. mein vater konnte noch einigermassen mitdenken und erklärte, dass mom ja auf der chirurgie lag (hatte ich vergessen) und dass sie nicht mehr operiert werden musste. sie wurde also verlegt, in ein krankenhaus in der nähe vom wohnort meiner eltern. ebenfalls intensivstation, aber kleiner und fast schon gemütlicher. ein paar tage, nachdem sie den luftröhrenschnitt bekommen hatte, begann sie selbst zu atmen. das ist sehr wichtig, denn sollte sie später pflege brauchen, kann sie gut zuhause gepflegt werden, wenn sie atmen kann. die kanüle blieb trotzdem drinnen, für alle fälle. aussdem muss sich die atemmuskulatur wieder ans selbständige atmen gewöhnen. war schon mal sehr positiv, aber meine mutter schlief einfach weiter. sie konnte jederzeit aufwachen, die narkosemittel waren schon in graz abgesetzt worden, aber sie brauchte noch zeit. manchmal öffnete sie leicht die augen, wenn sie seitlich gedreht wurde. sie gähnte ganz oft, schnarchte manchmal ganz leise. mehr nicht. augen öffnen, auf schmerzsignale reagieren, geräusche von sich geben und selbständig atmen - das alles ist im prinzip schon ok, aber noch kein grund zum jubeln, denn das können auch wachkomapatienten. man ist noch im vegetativen zustand, mehr nicht. dad besuchte sie täglich, ich sehr oft, denn ich hatte urlaub und verbrachte ihn natürlich zuhause. ich hatte einmal das gefühl, dass sie mich todmüde anschaut und dass ihr blick dann abgleitet und sich verliert. hab immer mit ihr geredet, mein vater auch. eine krankenschwester meinte, meine mom hätte sie am morgen bei der pflege angelächelt und zwar so richtig, mit voll anschauen, augen fokusiert, bei bewusstsein. und sie hat es tatsächlich geschafft, von meiner mutter ein foto zu machen. unsere besuchszeit war am nachmittag und meine mutter war dann immer schon wieder müde. aber irgendwann hat sie uns auch angeschaut und uns viel angelächelt, vor allem meinen vater. zuerst war sie nicht ganz sicher, wer ich bin, glaube ich. war bei m. genauso, als sein vater den schlaganfall hatte. 

ich habe den krankenschwestern erzählt, dass meine mom quasi von kaffee lebt, also begannen sie damit, ihr mit milchkaffee den mund auszupinseln - eine sehr gute idee!! schlucken ging ja noch nicht richtig, aber sie hat auf diese weise schon ihr kaffeechen geschmeckt.

ich hatte zwischendurch horrorvorstellungen von dornröschen, vor allem weil wir auf der intensivstation selbst so müde würden und uns am liebsten neben sie gekuschelt und geschlafen hätten. und von den hellraiser-filmen, ganz am anfang, als so viele unheimliche maschinen um ihr bett standen. da dachte ich, mich würde nicht wundern, wenn pinhead und seine kumpels plötzlich aus der wand hinter dem bett kämen. intensivstation ist die pure horrorshow.


eine schlimme phase war glaube ich die angst nach dem aufwachen. diese scheussliche angst in den augen meiner mutter, als sie nicht wusste, wo sie war und was passiert war, wer wir alle sind und warum sie nichts mehr kann. ein paar tage lang sah es so aus, als würde sie in einem alptraum leben. was normal ist. natürlich habe ich alles darüber gelesen, was ich kriegen konnte und diese angst und manchmal auch tiefe traurigkeit ist der normalzustand nach dem aufwachen aus dem tiefschlaf. das gemeine ist, dass man nicht helfen kann. aber mit der zeit legt sich das und dann kommen die nächsten hürden, die bewältigt werden müssen und die nächsten etc. es stand auch noch eine op an. man hat uns in graz so nebenbei mitgeteilt, dass ihr oberschenkelhalsknochen gebrochen ist und diese op wurde für später angesetzt. wir haben mit dem anästhesisten gesprochen, der sich sehr viel zeit für uns genommen hat, und von diesem arzt bekamen wir endlich richtig gute infos. nämlich dass meine mutter so bald wie möglich  mobilisiert werden muss, sie müsse ja wieder gehen lernen. das klang schon besser! am tag nach der op war sie schon "in strahlender laune" (o-ton krankenschwestern) und am tag danach, als wir sie besuchten, sass sie am bettrand, völlig vornübergeneigt (ihre rücken und - halsmuskeln funktionieren noch nicht so gut), sehr gut gelaunt und stolz auf sich, was sie wirklich sein kann. sie wollte so lange sitzen wie möglich und hat es 2 stunden lang geschafft! sprechen konnte sie noch nicht, aber nicken und den kopf schütteln, also war ein bisschen konversation schon möglich. sie konnte manchmal radio hören, was für sie immer ein highlight war - mom hat früher nie viel radio gehört und die musik geht ihr extrem auf die ketten, aber ihr war einfach total langweilig. audiobooks waren natürlich noch kein thema und sind es auch jetzt noch nicht. 

mein urlaub war dann auch mal vorbei, aber ich hab alle infos, denn mein vater ruft mich täglich an und berichtet. sie konnte bald darauf den ersten satz sagen. "hallo robert" zum meinem dad :)

seither wird es täglich immer besser. mein vater hält ihr jeden tag das handy ans ohr und ich telefoniere mit ihr. sie weiss, wer ich bin und sie erinnert sich langsam an ihr eigenes leben. aussderdem kann sie seit gestern wieder selbst essen. es gab griesnockerlsuppe und eine banane und sie kann tatsächlich selbst schlucken. wenn sie wasser trinken will, kann sie das auch schon selbst machen, sie kann die tasse halten und zum mund führen. und kaffee trinkt sie auch schon wieder. :) der antrag für die neurologische reha ist schon eingereicht worden, sie könnte jeden tag damit beginnen, wir warten nur auf einen freien platz. ich glaube, dass sie es sehr schnell wieder drauf hat, ihr leben selbst zu bewältigen. das hat sie auch gestern am telefon gesagt - sie möchte, dass wieder alles normal wird und sie wird das auch schaffen! das glaube ich auch.

29.9.23

 (…) I am plunging.

I am sinking. I am not coming up for air.


I do not want all this human.


— Clementine von Radics, from Mermaid in “Mouthful Of Forevers”