15.11.23

der engel des anbrechenden tages

in einem abteil weiter vorn im zug. die vorhänge an der tür sind halb zugezogen, sie flattern im luftzug, das fenster steht offen. jemand liegt auf der bank und sieht hinaus. ein mädchen, ganz allein.

sie trägt eine kurze hippiebluse mit rotem blütenmuster zu dunkelblauen jeans, die an ihren hüftknochen hängt, dunkelblau, retro, mit abgewetztem stoff, auf dem geschliffene bunte glasperlen funkeln wie kleine verirrte sterne, wunderschön wie alles, was sie trägt, zwischen sehr schäbig und sehr glamourös, nicht grad stylish, sondern mehr, niveauvoll auf eine art und weise, die man nicht auf den ersten blick erkennen würde, auf den zweiten blick umso mehr, aber dann kann man ohnehin nicht mehr wegsehen, von dieser erscheinung, die elfengleich oder wie einer dieser unfassbar schönen rockstars einfach nur enspannt auf der bank liegt und gleichzeitig so aussieht, als würde sie posieren. bei ihr sieht alles wie pose aus, alles was sie tut, und wenn sie nur beim bäcker baguettes kauft. wahrscheinlich, weil sie elegant ist, zart und mit langen gliedmassen, elegant von natur aus.

an ihrem hals hängt ein lederband mit einem silbernen blüten-anhänger, der nach flohmarkt aussieht oder nach einem dieser wirklich guten juweliere, die schmuckstücke herstellen, die nach flohmarkt aussehen, und wieder muss man daran denken, wie es ist, einfach so am frühen sonntag morgen über den flohmarkt zu schlendern, mit wenig geld aber viel zeit, und dem tag beim erwachen zuzusehen, vielleicht danach eine tasse milchkaffee zu trinken, in einem winzigen kaffeehaus, in dem es nach frischen brötchen und kaffee duftet, nachher blumen für die wohnung zu kaufen, die man in den flohmarktvasen überall in den zimmern verteilt
sie sieht nach allen diesen dingen aus, wie gemalt, ein bild aus angenehmen erinnerungen und frischen träumen, wie der tag, der gerade anbricht, kaleidoskopartig bunt, gemustert, durchbrochen von versprengtem sonnenlicht und
verwirbeltem zigarettenrauch.

ungewollt wie ein rockstar auszusehen und immer noch wie ein kind zu sein, das hat sie wohl gut drauf und es ist bei ihr echt und nicht gestellt, das sieht man an ihren augen, die wie die eines rehs sind, dunkelbraun und weit offen. klare augen. wie ein waldteich, bei dem man auf den grund sehen kann, ohne trübungen, als wäre alles ganz einfach, was es sicher nicht ist, und sie weiss das, aber es kümmert
sie nicht. sie reist in ein unbekanntes land, das sie nicht fürchtet. vielleicht gäbe es einiges, was zu fürchten wäre, aber wie es eben so ist, es kümmert sie nicht. sie hat genügend kraft und innere ruhe.


diese reise anzutreten, das wünschte ich uns allen, eine reise in ein frisches grünes land, zusammen mit den engeln des anbrechenden tages. es liegt an uns, was wir daraus machen.