15.8.16

miss lilly baxter ist noch nicht wirklich munter

gibst du mir mal nen schwarzen kaffee? ohne alles, nur schwarz und vor allem kein zucker. ihre stimme klingt rauchig. sie zündet sich gleich wieder eine an und hustet in ein schwarzes stofftaschentuch mit violetten spitzen am rand. an ihr ist überhaupt alles schwarz und violett.
sie trägt einen schwarzen gehrock aus spitze, darunter eine violette korsage, leggings und kommandoboots, eine lange silberkette mit einem verschnörkelten kreuzanhänger und jede menge schwere silberringe. ihre violettgesträhnten aber ansonsten schwarzen haare gehen fast bis zum boden, ihre schläfen sind jedoch ausgeschoren und völlig glatt. sie ist sehr bleich geschminkt, bis auf die augen, die dick mit kajal umrandet sind. sie macht den eindruck, als wäre sie gerade eben aufgestanden und noch nicht ganz munter. der eindruck täuscht auch nicht. den kaffee hat sie absolut nötig.
und bring mir gleich noch ein glas rotwein, bitte. sie lächelt den barkeeper an.
nimm dir auch eins, wenn du magst, geht auf mich. sie beginnt in ihrer doktortasche zu kramen. findet das gesuchte und setzt sich eine sonnenbrille mit dunkelviolett getönten gläsern auf. dann blickt sie sich um und für einen augenblick sieht sie gar nicht mehr so verschlafen aus, sondern ziemlich hellwach.

sie bemüht sich, einmal nicht die gedanken zu denken, die man normalerweise in einem club wie diesem vor sich hindenkt, ohne wirklich mal auf die stopptaste zu drücken.
sie bemüht sich wirklich, den ewigen monolog zu unterbrechen, dieses ewige ach ich bin so einsam, ach ich bin so anders, wir sind alle völlig allein, keiner ist am anderen interessiert, nur an sich selber, und sie stellt fest, dass sie eigentlich ganz woanders ist und immer war. wenn einmal dieser monolog völlig fehlt, dann stellt sie fest, dass sie wirklich nie richtig da war, seelisch ganz weit fort.
und wenn es den anderen auch so geht, dann wäre das wohl der beste zustand, den es geben kann.
wenn man es sich eingesteht, gibt es kaum ein echtes gespräch zwischen menschen, nur zufällige monologe, die aufeinandertreffen und in denen jeder nur von sich erzählt, aber dem anderen nie wirklich hinter die geschlossenen lider blickt. wir kreisen permanent um uns selbst. vielleicht hält uns das bei verstand.

und trotzdem träumen wir immer davon, zu den anderen kontakt herzustellen und mit ihnen die nächte durchzureden. was würden wir in solchen nächten erfahren, von uns selber? wir würden wir uns in den augen des gegenübers spiegeln? was würden wir sehen? wie uns der andere wahrnimmt.
freundschaft wäre demnach die bestätigung des eigenen egos. vielleicht kann man nur noch einzelgängern einigermassen vertrauen. sie stehen zumindest zu ihrer art und tragen keine masken. man sagt, der mensch wäre ein gesellschaftstier. aber nicht, weil er die gesellschaft der anderen so gern hat. es geht um die erfüllung von bedürfnissen, mehr nicht.
sollte eigentlich deprimierend sein, aber irgendwie ist es auch auf eine undefinierbare art und weise angenehm, sich diesen gedanken auszusetzen und nicht dabei draufzugehen.

sollte es noch etwas geben ausser dieser nackten wahrheit, dann muss es übernatürlich sein. menschlich ist es sicher nicht. es gibt noch etwas. nur möchte sie gerade nicht darüber nachdenken. einmal nicht leiden, ok? einmal nicht diese art von flügel spüren, die sich mächtig und strahlend entfalten. einmal nur ein ganz ganz niedriges menschentier sein. mein herz ist fragil, siehst du das nicht?

ich hab mal einen mann kennengelernt, in einem club ähnlich wie diesem. er hatte dieses shirt an, auf dem in blut das wort disease geschrieben war. ich dachte eigentlich, es wäre sein eigenes blut, doch wie er mir lachend erzählte, war es das blut eines anderen, mit dem er es geschrieben hatte.


   
der barmann stellt ihr schweigend den kaffee hin. er hat einen weißen becher genommen mit pinken herzen darauf und blauen wölkchen. fröhlich steht ‘good morning, darling!’ darauf.
 kurz darauf kehrt er zurück und legt ein weißes spitzendeckchen aus  papier darunter. es sieht grotesk aus, wie er mit seinen langen dunklen fingern das deckchen drapiert. er zwinkert und wendet sich wieder seiner   arbeit zu.