Tsutomu Nihei: Noise
Kategorie: Horror/Adults
Musubi ist Polizistin in einer Spezialeinheit der Metropolice. Zusammen mit ihrem Kollegen Clauthor, mit dem sie auch befreundet ist, ermittelt sie in einer Serie von Kindesentführungen und wahrscheinlich auch Missbrauch. Immer mehr Kinder verschwinden spurlos. Die Metropolice ist weitgehend hilflos, es ist unmöglich, in dieser Stadt, die einem Labyrinth gleicht, den Überblick zu bewahren, und das Labyrinth wächst und dehnt sich aus, um sich selbst zu genügen. Ein verrottender Kadaver, der Menschen verschluckt und parasitären Lebensformen Unterschlupf gewährt. Die Stadt – postapokalyptisch und alptraumhaft – wuchert wie ein Krebsgeschwür, Menschen tauchen auf wie Schatten und verschwinden wieder in ihren düsteren Behausungen. Hier kann man gut für einige Zeit untertauchen, wenn man nicht gefunden werden will, oder für immer verschwinden.
Die Menschheit ist längst am Ende. Das, was von ihr blieb, vegetiert auf erbärmliche, menschenunwürdige Weise vor sich hin. Verbrechen geschehen, die an Perversion kaum zu überbieten sind, ein monströser Kult – die sogenannte Bruderschaft - hat sich in der Stadt eingenistet und es ist wohl nur in einem solchen Biotop möglich, dass menschliche Regeln und Gesetze so völlig ausser Kraft gesetzt werden. Ein anonymer Hinweis führt Musubi und Clauthor in den ältesten Teil der Stadt, ein weitverzweigtes Netz von Gängen, Kanälen und Kammern..wie ein gigantischer Bienenstock. Hier verschwindet auch Clauthor wie vom Erdboden verschluckt. In einer laborähnlichen Kammer liegen grauenvoll zugerichtete Kinderleichen, an denen anscheinend Experimente durchgeführt wurden, nur zu welchem Zweck, bleibt vorerst noch im Dunkeln, ebenso, was aus Clauthor geworden ist. Musubi ist nun allein und sucht nach Clauthor. Plötzlich steht sie einer sonderbaren Gestalt gegenüber, einem Gnom, der einen seltsamen Gegenstand in der Hand hält, der ganz so aussieht wie Clauthors Gesicht bzw. die abgetrennte Haut seines Gesichts. Er dreht sich um und verschwindet in einem dunklen Seitengang. Musubi folgt ihm...und der Alptraum beginnt erst jetzt.... Diese Geschichte ist auf schreckliche Weise faszinierend. Selten wurde Endzeitstimmung dermassen brachial gezeichnet und selten so überzeugend. Das Zeitalter des Menschen ist endgültig vorüber, nun beginnt das Zeitalter der Parasiten, die Stadt selbst ist wohl der scheusslichste von allen. Ein Gigant aus sinnlos errichteten, leerstehenden Gebäuden, die Ebene um Ebene nach oben wuchert, scheinbar völlig ohne Plan. Vielleicht ist das Wachstum selbst der Plan. Menschliche Baumeister gibt es schon lange nicht mehr, die Stadt wird von Maschinen errichtet.
Es scheint nur die Stadt zu geben. Sonst nichts mehr. Der Bruderschaft ist es gelungen, die Energie der gefolterten Opfer einzufangen und für ihre Zwecke zu verwenden. Extreme Qual lässt Monster entstehen, die ähnlich wie Waffen im Krieg eingesetzt werden, aber nicht nur auf Psi-Ebene. In „Noise“ nehmen die Monster wirklich Gestalt an, können kämpfen, aber auch zerstört werden. Tsutomu Nihei hat anscheinend Ahnung von schwarzmagischen Praktiken und vermag sie auch so darzustellen, dass man begreift, worum es ihm geht.
Er setzt Musubi als Gegengewicht ein. Eine zarte, elfengleiche Erscheinung, jedoch eine Figur, die in diesem Spiel durchaus ein ernstzunehmender Gegner ist. Eine wichtige Rolle spielt auch noch ein seltsames Schwert, das wie ein futuristisches Samurai-Schwert aussieht und von unbekannter Herkunft ist. Musubi entdeckt im Kampf gegen die schwarzmagischen Monster, die mittels normaler Waffen nicht zerstört werden können, dass ihr Schwert ebenfalls magisch aufgeladen ist. Es sieht aus wie das Schwert eines (Grals-)Ritters und besitzt gewaltige Kräfte. Es vermag die Stadt selbst anzugreifen, das ominöse Wachstum zu stoppen und den Wucherungen des Krebsgeschwürs Einhalt zu gebieten. Die Stadt und die Bruderschaft scheinen so eng miteinander verwoben zu sein, dass man sie nicht voneinander trennen kann.
Woher stammt die Bruderschaft? Welchen Sinn verfolgt sie?
Eindeutig ist, dass sie ein Produkt der Endzeit ist. Dass der Untergang der Menschheit damit zu tun hat, dass die Stadt selbst einem schwarzmagischen Konstrukt gleicht, das menschliches Leben vom Prinzip her verneint. Das Schwert könnte in den richtigen Händen ungeheuren Schaden anrichten. Es gehört nicht in diese Stadt, wahrscheinlich ist es auch viel älter. Ein Relikt einer alten Kriegerrasse? Man möchte mehr darüber erfahren. Musubi und das Schwert gehören jedenfalls zusammen. Das Schwert wählt den Besitzer genauso wie umgekehrt – es ist hier so ähnlich wie bei einem Zauberstab.:-) Das Ende bleibt offen, doch Musubi und ihr Schwert existieren weiter – Musubi in einer anderen, vielleicht sogar mächtigeren Form.
„Noise“ wird viele verstören, einige anekeln und eine Handvoll Leser so sehr in seinen Bann schlagen, dass sie das Buch immer wieder zur Hand nehmen werden. Irgendwann wird man ihn hören, diesen gigantischen Schrei, der Sprache nicht mehr kennt, ein Brüllen ohne Worte, und man wird Schmerz empfinden. Es ist nicht leicht zu ertragen. Der Zeichenstil ist extrem aggressiv, die Handlung traumatisch und das Buch jeden Cent wert. Ein Tip für erwachsene Mangaleser, die einiges verkraften können. Und trotzdem werden sie es nicht leicht haben mit „Noise“, und mit sich selbst.
Original-Rezi auf meiner Homepage:
http://www.vampyreplanet.net/DarkCity/manga/manga.html