24.6.19

Atemlos

Die Hecken, an denen ich entlangging, die Efeuranken und dornigen Rosensträuche, die schmiedeeisenen Zäune, die hohen, dunklen Bäume und die alten Villen hier oben am Hügel, alles glitzerte. Eine gleissende Welle kühlen Lichtes erfasste mich plötzlich, legte sich über den Hügel und seine engen, gewundenen Strassen. Für einen winzigen Augenblick wurde die Welt durchsichtig, als würde sich ein luftiger Vorhang heben. Dahinter schien alles gleich zu sein, jedoch nur beinahe. Das Leben war aus der Welt gewichen, das atmende, der Zeit unterworfene Leben, wie es sich täglich in seiner Entsetzlichkeit zeigt. Das Leben war gewichen und war dennoch da, es hatte sich nur gewandelt. Die Zeit war stehen geblieben und ein Kontinuum hatte sich geöffnet, ein anderes Raum-Zeit-Gefüge, das sich hinter dem uns bekannten, von uns erzeugten befand. Hier glänzten Wassertropfen auf dornigen Ranken, dort wiegte sich ein Blatt im Wind, gehüllt in eine Aureole aus kühlem Sonnenlicht und ich sah das wahre Gesicht der Dinge, als ihnen die frische, kühle Brise, die uns überschwappte, das Leben nahm.
Den ewigen Dingen wohnt eine Starrheit inne, die zutiefst beruhigend ist....nicht erschütternd oder gar schrecklich, wie ich früher dachte, sondern vertraut, als wäre jede Art der Bedrohung verschwunden. Und ich wurde ich selbst, wuchs zu mir selbst heran, meine Seele ist wahrhaft grösser, als ich dachte. Hier liegt sie in Ketten, doch dort streift sie frei durch verwilderte Gärten, bestaunt die mystische Natur der Dinge und atmet frei die kühle, golddurchwirkte Luft.
Als die Zeit stehenblieb, hauchte die Natur lächelnd, dankbar den Odem eines falschen Lebens aus...so auch ich...und als ich später in den Spiegel blickte, sah ich eine blasse Frau mit Haaren wie Rabenfedern und grossen, schwarzen Augen, aus denen, trotz Tageslicht, der Mond leuchtete.
Ich sah eine dunkle Nixe, eine Zauberin, Poetin, ein träumendes, dunkles Geschöpf und in dem Augenblick wusste ich, dass mir die Sprache untertan war, sie war mir gegeben, als die Dinge hinter unserer entsetzlichen Auffassung der Wirklichkeit ihr Gesicht zeigten.
Führt uns unser Heimweh an die Pforte dieses lächelnden Todes?
Meine blasse Hand öffnet ein schmiedeeisenes Tor, dahinter wartet das Kind, das ich einmal war, ein kleines Mädchen mit grossen, schwarzen Augen, von Mondlicht...dunkles Wasser...“und ich weiß...“, wir sehen uns an und verschmelzen, aus der Umarmung zweier Wesen wird eins und das lächelnde Kind der Trauer spielt wieder hinter dem Tor aus Schmiedeeisen, wo es niemand stört.