der arkadengang teilt sich, du überlegst, welchen weg du gehen wirst. etwas drängt dich nach links. du gibst dem drang nach und betrittst den eindeutig dunkleren gang. es riecht nach schalem regenwasser und durchweichtem gemäuer. der gang ist ungeschmückt und kahl. einige leere podeste stehen in staubigen nischen, graue federn liegen vereinzelt am boden, sonst findet sich nichts, was deine aufmerksamkeit wecken könnte. und dennoch fasziniert dich dieser gang, du nimmst etwas auf, das normalsterblichen verschlossen bleibt - den ruf eines uralten wesens. deshalb kehrst du auch nicht um, sondern schreitest zielstrebig weiter den gang entlang, ,der manchmal weit über der erde als arkadengalerie, manchmal unterirdisch als tunnel tief unter der erde kerzengerade an einen ort führt,
der dich zu locken scheint.
ein leises flüstern dringt aus einem spalt aus der mauer. dann, beinah unhörbar, worte, die du nicht verstehst. die worte klingen unnatürlich schleppend, so als versuchte jemand, mit einer gelähmten, geschwollenen zunge zu sprechen. und doch ergibt der klang der worte sinn...
"versunken im grau,
im schattigen grün
sah ich wie im traum
die seerosen blüh'n."
ein mund drückt sich an den spalt in der mauer. du schweigst, während der singsang des toten fremdartig und traurig durch den gang hallt.
"sah ich wie im traum die seerosen blüh'n"
du trittst an ein marmorbecken, in dem prächtige seerosen in voller blüte stehen. hinabgesunken...ertrunken...der leichnam...der stern...
auf der anderen seite steht eine weissgekleidete gestalt, ein tuch bedeckt ihr haupt, sie sieht zu dir herüber und beginnt, zu erzählen...
"und niemand, der je um mich trauerte..."
in seidenem grau steigen dämpfe empor, wie bitteres gift, wie wahnsinn, so bitter, und bitter die worte.
"ich träumte vom leben, du träumtest vom tod
vereint hat uns schläfer die macht unseres traums."
"ich träume, dass ich um dich weine", sprichst du,
"und ist es auch nur ein traum, so lass es dennoch wahr sein."
die weissgekleidete gestalt weist auf den arkadengang hinter dir. dort, im halbdunkel, stehen ein tisch und ein stuhl. auf dem tisch befinden sich ein laib ungesäuertes weissbrot, schwarze oliven und eine karaffe wasser. daneben liegt ein in schwarzes leder gebundenes buch mit metallbeschlägen aus patiniertem silber.
"das mirakel der tränen", darunter der name "azrael".
du spürst den ernsten blick des toten auf dir ruhen.
"lies und verstehe."
du setzt dich nieder und lässt deinen blick über den innenhof schweifen. plötzlich siehst du schönheit, wo früher nur schrecken war.
der leichnam nickt und zeigt auf brot und wasser.
"iss von meinem brot und stärke dich. bleib solange du willst, mein bruder im traum. du siehst - mein haus ist spartanisch und kahl, doch bist du sicher hier in diesem schrein."
du nickst, und isst, und trinkst, und nimmst das buch auf deinen schoss.
"lies vor, dann wird die wartezeit kürzer".
du liest und er murmelt mit dir, in seinem fremdartigen singsang, der dich schläfrig macht.
schläfst du gerade? träumst du vom traum?
wer kann es so genau sagen?
über den himmel fliesst samtiges orchideen-violett, die brüder lächeln: der eine: der tote, der zweite: der schläfer, der dritte: der engel.
"schläfst du, bruder?
sag, schläfst du?"