20.8.20

logfile_01: alpha centauri, 5 min. nach mitternacht



ich lehnte mich entspannt in meinem plüschohrensessel zurück und liess die finger krachen.
"du lässt das jetzt hübsch bleiben, sonst zieh ich dir die ohren lang, du kleiner rotzbengel."
solche aussagen könnten locker ignoriert werden. normalerweise. schwer fällt es jedoch, wenn der meister selbst sie äussert und in eindeutig übelgelaunter manier. "was ficht euch an, gott hawkings, heute zu wenig oder zu viel geschlafen?" "ich schlafe nicht mehr", gab er mir zur antwort. "ich habe dem schlaf endgültig abgeschworen." mit rotgeränderten augen warf er mir einen mürrischen seitenblick zu. "heute schon halluziniert?"seine frage blieb eine zeitlang unbeantwortet im raum stehen, dann beantwortete er sie selbst mit einem schallenden "yessir". draussen am gehsteig schlug ein uniformierter passant die hacken zusammen und setzte zum salutieren an, dann sah er uns durch die irisierende mondglasscheibe an und kam näher heran, um uns genauer in augenschein zu nehmen. die LED-lichter seiner ordensbatterie blinkten rot, grün und gelb. er baute sich vor dem alpha centauri internet und VR cafe auf und liess bedrohlich seine orden blinken.
"ist wohl wieder weihnachten, verdammt."

"wie oft im jahr gönnen wir uns weihnachten?" per VR konferenz kamen die ersten vorschläge rein, hawkings hatte ein zusätzliches fenster geöffnet und channelte raumsondendaten rein, die merkwürdig mit den stimmen aus asien und der euroasiatischen zone kollidierten und einen wust von datenmüll ergaben, die er abrollte wie eine rolle klopapier.  ich klappte den deckel der gekühlten serverbox hoch und entnahm ihr eine kleine dose liquid speed und liess sie rumgehen.one for the road. weit entferntes allrauschen. blinken aus der nähe. weihnachten im endlosloop. während wir drinnen immer schneller wurden, war der baum oder coketruck draussen an ort und stelle festgewachsen. "könnte mal wer das grelle leuchten draussen entfernen? oder vielleicht liegt es ja an mir. es ist schade." gott hawkings fasste die erscheinung vor dem fenster ins rotgeränderte auge. "schade nur, dass man halluzinationen nicht kontrolliert ablaufen lassen kann. ich für meinen teil hätte gern darauf verzichtet."
als wir 10 min. später oder so in eine gelungene beachsimulation eintauchten und uns von livrierten kellnern alten wein in neuen kelchen kredenzen liessen, war der coketruck vor der scheibe schon vergessen. aber er war noch immer da.


"wisst ihr denn nicht, dass subversives gedankengut wie eures langsam aber sicher eure gehirnzellen absterben pfrzpffllz..."
ich driftete widerwillig durch einen langen dunklen schlauch, an dessen ende gelbe, grüne und rote lichter blinkten wie eine amoklaufende ampel, das ampelmännchen am anderden ende des biegsamen rohres, durch das ich rücklings flutschte wie durch eine wasserrutsche verschwand kurz ausser sichtweite, als ich in eine monsterkurve schlidderte, dann war es leider wieder da und noch dazu viel näher gerückt. "wenn das die realität sein soll, möchte ich für immer halluzinieren", sagte ich zu mir oder zu hawkings, so genau wusste ich es selber nicht. die antwort folgte auf dem fusse oder besser gesagt zu meinen füssen, denn hawkings hatte mich mit höllenspeed überholt und hatte den virtuellen eingang zum alpha centauri internet und VR cafe beinah schon erreicht. "ich hab den eindruck, als wär er selbst ein wenig subversiv", grinste der meister und brüllte mir über die schulter noch eine warnung zu. "wir müssen durch die 3 x verfluchte scheissdrehtür!" dann war er mit einem lauten krachen in der schwirrtür verschwunden. ich sah ihn einige male im kreis fahren, dann verschwand er unvermittelt. dachte mir noch "hoffentlich sind alle in deckung gegangen da drin", als ich schon mit der schwirrtür kollidierte. wie immer falsches timing. ich kletterte fluchend hinein und liess mich einige zeitspannen rundherum kutschieren, während sich der schlauch hinter mir mit saugenden geräuschen selbst aufsaugte. "wo waren wir gleich noch mal?" rief ich dem meister zu, als ich aus der tür kletterte, die sich hinter mir augenblicklich selbst zerstörte. "und haben wir alles mitgenommen? dachte vorhin noch, wir hätten irgendwas dort vergessen, wo auch immer."
"polynesien und die dame mit den kirschenohrringen." schöner satz, meister, dafür würd ich töten, nur um solch einen satz zu hören.

polynesien und die dame mit den kirschenohrringen.


"say war da noch 'n emo mit an bord?" kam von spike, dem unverwüstlichen blauhäutigen grünhaarigen cyberpunk, unserem geliebten webmaster und admin des ganzen ladens hier, nach eigenen worten ein verdammtes punkoriginal aus den seventies, was keiner richtig checkte. welche verfluchten seventies und wie konnte man allen ernstes von sich selbst behaupten, ein original zu sein? was ich ihm sofort wieder aufs auge drücken wollte, aber zwischen spike und mir stand riesengross und blinkend das ampelmännchen und hielt mich an der schulter fest. "wohin, mein sohn?"
"das ist immer die frage", liess gott hawkings verlauten, "egal, wo wir hingehen, stellen wir fest, dass wir uns um keinen deut bewegt haben, also könnten wir rein theoretisch auch schon hierbleiben. scheiss-simulationsware."

"yo aber die dame. habt ihr wirklich ne lady mitgehabt oder hättet ihr das nur gern?" spike sah zur wand hinüber. "dann steckt sie vielleicht noch in der wand." "das täte mir ehrlich unendlich leid. denke mal, sie war einigermassen ok." der meister sah für eine minimale zeitspanne fast betrübt aus, dann hellte sich sein gesicht schlagartig wieder auf. "lokalrunde, ich lass mich nicht lumpen", brüllte er auf einmal. softer applaus drang aus allen offenen VR channels und langsam drifteten sie alle, einer nach dem anderen, durch die schwirrtür und nahmen am tresen platz. "habt ihr ne dame gesehen?" spike im endlosloop. die story von der dame gab mir irgendwie zu denken.
ich dachte an die dicke dame, die plattgepresst zwischen den wänden als 2 D objekt eine geisterhafte nichtexistenz führen musste. "war die dick, die dame?" hawkings sah mich mit rotgeränderten augen an. "ich glaube", sagte er, "sie kam von draussen reingestürzt, als wir uns in die VR ware gezwängt haben und weiters glaube ich, sie war irgendwie auf der flucht. ich hör noch ihre highheels klappern wie kastagnetten. ach ja und sie war spanierin."
"das war nie im leben eine dame", kam von sharky, der mit hochgeklapptem mantelkragen und einer verkehrt herumgehaltener zeitung am tisch neben der eingangstür sass und durch das loch in der zeitung wieder mal leute ausspionierte. alte privatdetektivkrankheit, hier ist niemand sauer deswegen. "ich sage euch, das war keine echte dame. das war erstens ein transvestit und zweitens war das nie im leben ein mensch. kam rein und quetschte sich zu euch in die ware. so weg wie ihr wart, hätte sogar ein elefant...sah irgendwie ähnlich aus."
"nein, das war ein grosser kerl im schwarzen ledermantel, der zu euch in die ware gestiegen ist. die dame ist nur aufs klo gerannt."
"eigentlich, jetzt mal ernsthaft, war's ne reisegruppe japaner. vorneweg sone lady mit aufgespanntem schirm und nem "follow me"-schild auf dem rücken."
"blödsinn. ich meine, leute, blödsinn. ich war anwesend, ich hab's gesehen. da war zuerst dieser kerl, wisst ihr, mit der blockflöte und er spielte so'nen magnetischen song und ihm tanzte ne ganze gruppe leute hinterher und alle mitten rein in die ware zu euch. die lady sitzt sicher noch am lokus. aber ne echte dame rennt nicht, auch wenn sie aufs klo muss. ne dame schreitet. auch wenn sie's eilig hat."
"yo, und wo sind die jetzt alle? die müssen doch irgendwo warten...verzweifelt...grausames schicksal."


"keinepanikalleshörtaufmeinkommandopfrzzlzz."
er war noch immer hier. irgendwie hatte ich jetzt lust auf ein coke.

"put on your red light", sagte ich.



das internetcafé alpha centauri:
man trifft hier: verschwörer, freaks, cyberhippies, hacker, outlaws,  jesus-lookalikes, philosophen, pseudoheilige, ein, zwei erzengel, die verbissene stammtischrunde, das haustier gilgamesh... und eine hektische entität mit  tentakeln, die euch gefälschte rolex-uhren andrehen will.
weiters wäre zu erwähnen: die kuchenvitrine, die sich rasend schnell dreht, die torte mit dem spezialeffekt, das party-catering der abnormen sorte sowie das halluzinogene, kreischend bunte flair der ganzen paradoxen versammlung.

lieblingsgetränk der gäste: liquid speed

die geschichten der gäste & urban legends & strange events lassen wir hier als logfiles auf unserem server verschimmeln.


© shine

11.8.20

monster





eins meiner polyvore-sets. es ist seltsam. schon so lange her, dass poly geschlossen wurde, aber ich kann es mir immer noch nicht vorstellen. es ist abstrakt. und unfassbar, undenkbar. sets gestalten, musik im kopfhörer und eine grosse tasse kaffee vor dir. manchmal einfach das beste.
ich glaube, ich werde mal wieder trendme besuchen und schauen, ob ich was zusammenbringe.


7.8.20

Théophile Gautier, from the Comedy of death


I have returned from the land of ghosts,
But still, I maintain the pale shade of the dead
Far away from silent kingdoms
My clothes resemble a funeral dress
On an urn, thrown from my back to the ground
Hanging along my body.
I come from the hands of a death
More miserly than the one who wept at the tomb of Lazarus;
She looks after her keep:
She releases the body, but retains the soul;
She renders the torch, but fans the flame;
And Christ would have no say.
But Alas! I am no more than a shadow of my former self,
A living tomb where lies all that I love,
Survived only by myself;
With me, I carry iced mortal remains
Of my illusions, charming and passed away
Of which I am the shroud.
I am still too young; I want to love and to live,
O death, I can’t bring myself to follow you
On your somber path;
I haven’t had the time to build the column
Where glory will come to suspend my crown;
O death, come back tomorrow!


5.8.20

my house walk-through





when I open this fusuma sliding door, there is another hallway

2.8.20

die stadt der diamanten

ganz unten im abgrund stiess ich auf eine eigenartige stadt. wie kann es sein, dass dort unten menschen leben, fragst du? wie kann es sein, dass überhaupt etwas dort unten überlebt?

zum tiefsten punkt des abgrunds lockte mich ein eigenartiges funkeln, unwirklich schön, wie ein traum, und ich dachte an eine fata morgana, eine illusion, die nur diejenigen erleben, wenn sie zu lange kein licht gesehen haben. ganz tief unten und auf den gipfeln der verzweiflung fand ich zur stadt der diamanten. es war, als ich am tiefsten punkt stand, ich war zum gellenden schrei geworden, ich selbst war der schrei, eine wunde, die sich nicht mehr schliessen konnte. man kommt zum sterben hierher. man kommt hierher, um an der verachtung der stadt zugrunde zu gehen. und doch habe ich es geschafft, wieder zu verschwinden, jemand zerrte mich die stufen hinauf, war es ein bewohner der stadt gewesen, der sich danach wieder hinter seiner maske der gleichgültigkeit, des spottes, versteckt hatte? war es einer gewesen, der trotz allem noch der stadt die stirn geboten hatte? gibt es dort unten noch menschen?

ich kann nur bruchstücke wiedergeben. das giftgas der schächte zerstört körper und geist, die erinnerung schwindet mit jeder minute. ich sitze an eine wand gelehnt und schliesse die augen.



die stadt hat keine geschichte. ich nenne sie die stadt der diamanten, doch sie hat keinen namen, zumindest keinen, der in der oberirdischen welt ein begriff ist. sie ist brandneu, erst vor einigen jahren aus dem nichts entstanden, es gibt kein richtiges leben, denn richtiges leben wächst langsam, hier wächst nichts langsam, hier wächst überhaupt nichts, die stadt steht still.
das einzige, was leben ausstrahlt, sind relikte aus uralten zeiten, die man anhäuft, um nicht zu vergessen, wie man hier so schön, so schön gelogen, zu sagen pflegt. denn wie könnte man sich an etwas erinnern, das man nie erlebt hat? es sind gestohlene erinnerungen, wie amputierte gliedmassen, die keine funktion mehr erfüllen. da liegen sie in museen, kunstvoll beleuchtet, schweigend betrachtet, kühl analysiert, in den verschwiegenen vitrinen der stadt.
amputierte gliedmassen, ästhetisch für die stadt aufbereitet, in prachtvollem rahmen präsentiert,
vielleicht ein wenig zu prachtvoll, die dinge sehen fast zu klein aus,
enttäuschend, denken vielleicht einige mit mühsam beherrschtem spott
sie waren doch sehr simpel damals
aber alles ist besser als nichts
wie man hier gemeinhin zu sagen pflegt.
es ist eine seltsame stadt, eine stadt der sammler, eine stadt der ästheten, und dennoch ist die stadt selbst nicht ästhetisch, genauso wenig wie ihre bewohner. auf den ersten blick vielleicht, extrem ästhetisch sogar, stilbewusst, beherrscht und niemals zu erschüttern, weder die stadt noch ihre bewohner, in unangreifbarer ruhe und gelassenheit, die dem überreichtum  zu eigen ist, perfekt ausbalanciert, perfekt beherrscht, perfekt aussehend, perfekt ewigjugendlich, perfekt elegant. kein stilbruch, kein bruch, kein ausbruch, und intellektuell gepanzert, kalte harte diamanten
die stadt der diamanten
die schönste stadt der welt, finden die träumer, und in ihren träumen beschliessen sie, diese stadt irgendwann zu besuchen, genauso, als würden moslems von einer pilgerfahrt nach mekka träumen, fast religiös ist  ihr sehnen nach dieser stadt, wo der reichtum durch wände und fenster flirrt und jedem anwesenden die aura von unnahbarer heiligkeit verleiht, wo die skalpelle der chirurgen heiligengeschichter aus fleisch schnitzen und im wunderbarsten schmerz verklärte gesichter schaffen, denen das flair eines in religiöser ekstase erzeugten dauerorgasmus anhaftet.
die stadt der heiligen schönheit

nur einige sehen ihre wahre gestalt und zu diesen wenigen gehöre auch ich. und als ich die altäre floh, die heiligkeit der stadt anzweifelte, sah ich ihr dämonengesicht und ich rannte durch ihre strassen bis zur völligen erschöpfung, um den ausgang zu finden. ich rannte, bis ich ohnmächtig zusammenbrach.
aufgewacht bin ich hier, bzw. einige etagen weiter unten. ich habe mich nach oben geschleppt, bis ich wieder atmen konnte.
was das wirklich schlimme daran ist: die stadt kennt meinen namen. weisst du noch, was wir am anfang sagten? man blutet dort unten. die schächte trinken dein blut und lernen deinen namen auswendig. seit ich die stadt gesehen habe, habe ich angst, in einen schacht zu fallen, ohne die möglichkeit, wieder herauszuklettern. seit ich die stadt kenne, habe ich angst.