8.7.18

Ringelnatz

Meine längste Braut war die Alwine.
Ihrer blauen Augen Gelatine
Ist schon längst zerlaufen und verwest. -

- Sonntags morgens wurde sie bestattet
In der Heide, wo kein Bäumchen schattet,
Da auch ihre Unschuld einst verlor.
Donnerstags grub ich sie wieder aus.
Da kamen mir schon ihre Ohrlappen
So sonderbar vor.

Freitags grub ich sie wieder ein.
Niemand sah das in der stillen Heide. -
Montags wieder aus. Von ihrem Kleide,
Das man ihr ins Grab gegeben hatte,
Schnitt ich einer Handbreit gelber Seide,
Und die trägt mein Bruder als Krawatte. -
Gruslig wars: Bei dunklem oder feuchten
Wetter fing Alwine an zu leuchten.
Trotzdem parallel zu ihr verweilen
Wollt ich ewiglich und immerdar.
Bis sie schließlich an den weichen Teilen
Schon ganz anders und ganz flüssig war.

Aus. Ein. Aus; so grub ich viele Wochen.
Doch es hat zuletzt zu schlecht gerochen.
Und die Nase wurde blauer Saft,
Wo drin lange Fadenwürmer krochen. -
Nichts für ungut: Das war ekelhaft. -
Und zuletzt sind mir die schlüpfrigen Knochen
Ausgeglitten und in lauter Stücke zerbrochen.

Und so nahm ich Abschied von die Stücke.
Ging mit einem Schoner nach Iquique,
Ohne jemals wieder ihr Gebein
Auszugraben. Oder anzufassen.
Denn man soll die Toten schlafen lassen.


[ich hab es zuerst nicht glauben können, dass das ding tatsächlich von ringelnatz stammt. es ist einfach zu krank. respekteinflössend. bin ein grosser fan von diesem gedicht und wünschte, ich hätte es verfasst!]