ausschnitt aus einem brief, vor ewigkeiten geschrieben und dennoch wahr, wahrer als vieles von dem, was danach kam
wälder. da waren grosse, bräunlich-rote wälder in einem meer aus nebel. manchmal schien es, als würden sie lautlos an uns vorübergleiten, als wir die strasse entlangfuhren, die im regen glänzte. eine stimme, zerbrechlich, wie ein klirrendes spiel aus glasscherben, wehte gespenstisch durch die graue zwielichtlandschaft, eine stimme, die von leid sprach und von der ästhetik des schmerzes. das wesen sprach von tausenden und abertausenden toden.
‚nichts ist echt‘ hast du geschrieben, als du das vorige mal im spiel warst, nichts ist echt und auch wir sind es nicht. wir sind einfach nicht real. und deshalb gibt es das spiel, damit wir real werden, irgendwo da draussen in einer welt, die wir bewohnen. du weißt, dass die sogenannte realität, wie sie die anderen jeden tag erleben, alles andere als real ist? sie ist so vergänglich, dass sie nicht mal die nächsten 10 jahre bestand haben wird. die welt, in der ich mich bewege, existiert aber schon viel länger, seit dem tag, an dem ich fühlen konnte. vielleicht sollte man den begriff ‚realität‘ einmal überdenken und neue definitionen finden?
wo lebt die seele? in welchen häusern lebt sie, was isst sie, was trinkt sie, warum weint sie oft, mitten im leben? (wohl, weil sie vom tod träumt. müde seelen weinen, weil sie schlafen wollen)
meine definition der realität ist recht einfach und die meisten würden mir garantiert nicht zustimmen. realität ist dort, wo meine seele lebt, und das ist weiss gott nicht hier. meine seele lebt nicht in dieser alltagswelt, sie ist anders beschaffen, ihre konsistenz ist zu verschieden, zu dunkel, zu traurig, und auch zu ‚lebendig‘. ja, ich bin lebendiger als die menschen, die ich jeden tag treffe. wahrscheinlich, weil meine ‚realität‘ so anders ist, dass ich mir ein echtes leben leisten kann.
wenn ich mit dir im spiel auf dieser dunklen strasse entlangfahre und rechts und links die wälder vorbeigleiten, denke ich, ich kann das anfassen, weißt du, ich kann das fühlen, ich weiss, wie sie aussehen, die wälder und ich kenne dieses gefühl, im nebel zu wandeln (ein seltsames, einsames gefühl...ein ‚irreales‘ gefühl, so im nebel zu wandeln...)
dort gehen wir spazieren, in einer allee, die lang ist und düster. sie sieht irgendwie ein wenig aus wie diese schnurgeraden alleen der grossen friedhöfe oder in irgendeiner stadt, in einem alten stadtviertel, wo es noch diese grossen, kaputten häuser gibt. im nebel gehen wir die allee entlang, über nass glänzende blätter, die glitschig sind und aussehen wie die haut einer schlange. ein geruch liegt dort in der luft, der ist eigenartig und ein wenig unheimlich, denn es riecht dort nicht nur nach vermoderten blättern und regen und erde, sondern nach weihrauch. nach altem weihrauch, oder nach dem gewand eines dunklen engels, der vor uns diese allee entlanggegangen ist, nur ein paar sekunden vor uns. ich stelle mir sein schweres, schwarzes gewand vor, seine langsamen, gemessenen schritte, sein gesicht, das halb im schatten liegt, sein lächelndes gesicht. die augen, diese augen...so gross..diese riesengrossen augen. alles, was von diesem grossen blick getroffen wird, neigt sanft das haupt vor ihm und legt sich nieder, um zu schlafen. der ewige winter, in diesen grossen grossen augen.
ich möchte endlich erfrieren in diesem grossen blick. ich suche diese art des todes, dieses erfrieren in einer winternacht, die sein blick nur ist.
du weißt, ich glaube...
ich bin nur ein kind in diesem dunklen winter’traum‘.
wir wandeln stumm im nebel und man kann nur unseren atem hören, wie rauchfahnen strömt die spur unseres warmen atems, des lebens, in die eiskalte nacht, die noch herbstlich ist, aber nicht mehr lange. der winter wird kommen, alles weist darauf hin, dass der winter bald kommen wird.
‚bald schneit es, ich kann es spüren‘, sagst du und ich weiss nicht, warum, ich neige meinen kopf sanft und fühle einen schleier in meinem haar, obwohl dort keiner ist. ich fühle sanftheit und liebe, die gross ist, liebe zu dir und zu den bäumen. ich nehme deine hand in meine, ganz vorsichtig
und da ist diese stimme, die zerbrochen, wie ein klirrendes spiel aus glasscherben, über der allee schwebt. hörst du? sie singt von tausenden und abertausenden toden.
lass uns weiterspielen, winterelfe, lass uns alles vergessen da draussen, komm in die allee mit mir und fühle, was ich gerade fühle.
im spiel sagen wir die wahrheit. was ist realer als die wahrheit?