2.2.19

Der Tod des Clowns

Der Clown mit der glitzernden Träne auf der Wange lag auf dem Rücken. Er hatte die Augen weit geöffnet, ein fragender Ausdruck lag in seinen Augen. Beinahe sah es so aus, als würde er schlafen. Seine Mundwinkel waren zum ewigen Lächeln hochgezogen. Er lag da wie im Schlaf.
Langsam breitete sich eine Blutlache um ihn aus. Eine rote Rose lag auf seiner Brust, über seinem Herzen. Die künstliche Träne glitzerte silbrig, er lächelte.
Die Leute, die über ihn hinwegstiegen, um zum Ausgang zu gelangen, vermieden es, in sein Gesicht zu sehen. Geschah es dennoch, glitt ein Ausdruck tiefer Sorge über ihre Gesichter, starrten ihre Augen wie dunkle Schächte ins Leere, erstarben Gelächter und Worte. Mit zitternden Lippen und Entsetzen in den Augen blickten sie auf die Rose in seiner blassen, fragilen Hand. Starrten in seine fragenden Augen. Versuchten, Antworten zu finden, für ihn, für sich selbst. Zum ersten Mal sahen sie ihn wirklich an.

„Er war wunderschön“, bemerkte eine junge Dame und bemühte sich, mit ihren Schuhen nicht ins Blut zu steigen. „Ja, das war er“, bestätigte ihr Begleiter. „Als Kind habe ich von ihm geträumt“. Er blickte unsicher zu ihr auf – er war einer der wenigen gewesen, die sich zu der Gestalt am Boden gebückt hatten, um sie zu inspizieren. „Damals war er aber, nunja, lebendiger“. Er lächelte, nahm sie in die Arme, ging mit ihr zum Ausgang. Als sie hindurchschritten, war der Clown beinahe schon vergessen.
„Er war doch noch so jung“, murmelte ein Mann im Anzug und starrte vor sich hin. „Was für eine verdammte Verschwendung, man könnte regelrecht...“ Er stockte, sah an sich herunter, schüttelte den Kopf. „Wißt ihr, daß ich als Kind zum Zirkus wollte? Hab sogar jonglieren gelernt. Aber...“ Er riß seinen Blick von der reglosen Gestalt am Boden los. „Irgendwann wird ja jeder erwachsen. Man kann nicht immer haben, was man will. Man muß Kompromisse eingehen“, sagte er beinah entschuldigend. „Du mußt verstehen. Du bist selbst schuld daran. Es tut mir ja auch leid. Vor allem ärgert es mich.“ Er wurde laut. „Was für eine verdammte, verdammte Verschwendung. Du...Idiot! Man muß flexibel sein im Leben. Sich anpassen. Glaubst du, uns macht das Spaß? Aber wir haben es trotzdem geschafft, also hättest auch du...du Schwächling!“

Er sah dem Clown in die Augen. „Steh auf. Bitte, steh auf“, flüsterte er. „Es war doch nicht so gemeint. Und du bist auch kein Schwächling, komm schon, alles ist halb so wild.“ Er streckte dem Clown die Hand hin, wie um ihm aufzuhelfen. Das Handy klingelte in seiner Jackentasche. Automatisch griff er danach und führte es ans Ohr, während er über den Clown hinwegstieg. „Gib mir 10 Minuten“, bellte er in sein Handy. „Bin schon auf dem Weg.“ Er eilte durch den Ausgang und verschwand in der Dunkelheit dahinter. Aus dem Off drang seine Stimme, sich rasch entfernend: “Träume sterben nun mal. Dafür wird man ja erwachsen! Wir müssen ja nicht gleich mitsterben. Oder? ODER??“


Der Clown lag in einem Kreis aus Licht, den ein einsamer Scheinwerfer auf ihn warf. Der Raum war leer, sie waren alle gegangen. Die Tür mit der Aufschrift „Ausgang“ fiel langsam und schwer ins Schloß. 
Dahinter war es ziemlich dunkel.

 
17. Juli 2004
(Musik. B-Movie. „Marilyn Dreams“, wieder und wieder...“Marilyn Dreams“ in der Endlosschleife...und plötzlich war er da, der weiße Clown, wie eine Erinnerung an...früher...nur früher war er, nunja, lebendiger.)