5.6.21

sein letzter schmerz


vor den trümmern der kathedrale sass er auf dem, was noch von der treppe übrig geblieben war, rauchte und sah den menschen beim sterben zu. sah, wie sie sich gegenseitig hinrichteten, die kranken schlachteten, die andersartigen zusammentrieben, in der mitte des platzes an den pranger stellten und mit worten peinigten, die schlimmer waren als der tod. er sah die tränen der kranken, die sie heimlich vergossen, um den schlächtern den letzten triumph zu verweigern, das letzte wort in einem gottlosen spiel, das längst schon aus dem ruder gelaufen war, er sah den letzten stolz in den gesichtern der andersgearteten, der fremden, die sich zwar schon lange mit ihrem tod abgefunden hatten und sich dennoch niemals beugen würden. bis zum letzten moment.


seine zigarette war aus. er stand auf und ging zum zentrum des platzes, wo der pranger stand, ein elendes relikt aus lang vergangener zeit, doch noch immer in gebrauch, und wahrscheinlich noch lange nach seinem eigenen tod. er drehte sich zu den bestien um und sah ihnen ruhig entgegen. das war sein todesurteil. „wie schnell es gehen kann“, dachte er noch und eine tiefe müdigkeit stieg in ihm auf. als ihn der erste stein an der schläfe traf, spürte er den schmerz noch, wie feuer, doch nachher, als ihm das blut in bächen über das gesicht lief, war es wie durch watte. er weinte zuletzt, ganz am schluss. nicht, weil er sterben musste und so entsetzlich fror und schon gar nicht wegen ihnen (die er gar nicht richtig wahrnahm). er weinte, weil er allein war. und weil das letzte, was er sah, die kirche war, wo gott nicht mehr wohnte.


es war zeit für ihn, zu sterben und er nahm alles an schönheit und liebe mit, was er besass und das war unendlich viel. er hatte es bewahrt, um es seinem herrn zu füssen zu legen. so ging er, und seine letzten worte waren „hol mich heim“.